Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXIII. Jahrgang, 1912. (23)

oder wenigstens mit Staatsmitteln, und es fragt 
sich daher zunächst, erscheint diese Staatshilfe ge— 
rechtfertigt? Diese Frage ist häufig erörtert 
worden, sie ist häufig bejaht, viel häufiger aber 
verneint worden. Meines Erachtens muß sie be- 
jaht werden. Der Staat hat ein ganz eminentes 
Interesse daran, daß Südwestafrika, für das er 
Gut und Blut schon in reichem Maße gcopfert 
hat, wirtschaftlich vorankommt, und dieses seiner 
Natur nach auf Ackerbau und Biehzucht an- 
gewiesene Land kann nicht vorankommen, wenig- 
stens nicht auf die Dauer, wenn es nicht gelingt, 
einen tüchtigen Farmerstand dort hochzubringen 
und in langsamer, stetiger Arbeit die Landes- 
kultur zu heben. Es ist deshalb auch abwegig, 
wenn darauf hingewiesen wird, daß der Staat 
diese Kolonisten billiger in europäischen Landes- 
teilen ansetzen könnte. Der Staat muß für die 
Schaffung der Erxistenzbedingungen für einen 
tüchtigen Farmerstand in Südwestafrika Vorsorge 
treffen, und in richtiger Erkenntnis dessen hat er 
die neuen Ansiedler durch Hergabe billigen Landes, 
durch Kreditgewährung bei der Bezahlung des 
Kaufpreises und durch Ansiedlungsbeihilfen unter- 
stützt. Die Erfahrung lehrt, daß die angewandten 
Mittel nicht zum Ziele geführt haben. Über die 
Gründe, die zu diesem Mißerfolge geführt haben, 
sind die Meinungen geteilt. Die einen machen 
der Regierung zum Vorwurf, daß sie nicht ge- 
nügend darauf geachtet habe, daß die Farmer 
auch mit genügend eigenen Mitteln zum Betriebe 
der Farm versehen seien, daß sie die Landpreise 
ermäßigt und dadurch die Bodenwerte herab- 
gesetzt, sowie daß sie es an einer wirksamen Kon- 
trolle bei der Verwendung der Ansiedlungsgelder 
habe fehlen lassen. Von anderer Seite wird die 
Schuld den Farmern beigemessen und ihnen vor- 
geworfen, daß sie die ihnen gewährten Beihilfen 
durch üppiges Leben vergeudet und nicht ge- 
nügend auf die Schaffung nutzbringender Melio- 
rationen bedacht gewesen seien. Man wrd wohl 
nicht fehlgehen in der Annahme, daß beide Teile 
nicht frei von Schuld sind. Im Grunde handelt 
es sich hierbei aber beiderseits um entschuldbare 
Vergehen, die sich als Kinderkrankheiten der neuen 
kolonialen Betätigung erweisen und die, wie die 
von dem Herrn Referenten uns gegebene Dar- 
stellung der fremdländischen kolonialen Unter- 
nehmungen dentlich erkennen läßt, auch von 
anderen Nationen zu überwinden waren. Man 
wird hieraus für die Zukunft die Lehren zu ziehen 
haben, in Zukunft also vor allem auf ausreichende 
eigene Betriebsmittel der Kolonisten halten, die 
Verwendung der dargeliehenen Kapitalien strenger 
kontrollieren und die Rückzahlungstermine wesent- 
lich langfristiger gestalten müssen. Es wäre aber 
unrecht, wollte man die bisherigen Farmer, die 
  
W 108 20 
als Pioniere angeleitet, um nicht zu sagen ver- 
leitet, durch den Staat und seiner Sachkenntnis 
vertrauend sich in Südwestafrika angesiedelt haben, 
nun ohne Hilfe ihrem Schicksale überlassen. Diese 
Hilfe muß sich aber innerhalb verständiger Grenzen 
halten. Das tut sie meines Erachtens, wenn sie 
sich — abgesehen von der weiter unten zu er- 
örternden Beihilfe für Meliorationen — darauf 
beschränkt, die Umwandlung der kurzfristig auf- 
genommenen Darlehne in langfristigen Hypothekar- 
kredit, soweit dieser sich noch innerhalb verständiger 
Grenzen bewegt, zu erleichtern. 
Die Durchführung dieser Umwandlung wird 
meines Erachtens am besten nicht durch den 
Staat selbst besorgt, sondern einem auf genossen- 
schaftlicher Basis zu errichtenden Kreditinstitute, 
dem vom Staate die erforderlichen Mittel gegen 
Verpfändung der Hypotheken vorgestreckt werden, 
übertragen. Dies sichert durch die Mithaftung 
und Mitwirkung der Farmer einerseits die vor- 
sichtige Verwendung der Gelder wie anderseits 
eine nicht zu bureaukratische Beurteilung der im 
einzelnen Falle der Prüfung unterliegenden Ver- 
hältnisse. Hierbei muß ich die Entscheidung der 
Frage, ob es empfehlenswert ist, dieser Genossen- 
schaft einen Wirkungskreis über das ganze Land 
zu geben oder Bezirksgenossenschaften zu bilden, 
welche in einer Zentralgenossenschaft ihre sie ver- 
einigende Spitze finden, sachverständigerem Urteil 
überlassen. 
Wesentlich kürzer läßt sich die zweite Frage: 
Wie steht es in Südwestafrika mit 
dem Meliorationskredit? 
beantworten, denn wenn auch die Ansiedlungs- 
beihilsen im wesentlichen zu Meliorationszwecken 
hingegeben worden sind, so sind die dafür auf- 
gewendeten Summen einerseits wenig beträchtlich, 
anderseits auch nicht immer diesen Zwecken wirk- 
lich dienstbar gemacht worden, und so kann man 
sagen, daß der Meliorationskredit in Südwest- 
afrika bisher nicht ausgebildet ist, obwohl wohl 
wenig Länder ihrer klimatischen und topo- 
graphischen Beschaffenheit wegen so dringend der 
Aufwendung großer Mittel für Melioratiouszwecke 
bedürftig sind wie gerade Südwestafrika. Diese 
Meliorationen werden sich nicht nur auf solche 
Aufgaben erstrecken dürfen, welche Betriebs- 
erleichterungen für einzelne Farmen bezwecken, 
sondern sie werden sich weitere Ziele stecken 
müssen wie die Flußregulierungen, Bewässerungs- 
anlagen, Talspverren, Standämme usw., wie solche 
Arbeiten namentlich in Agypten mit größtem 
Erfolge zur Durchführung gelangt sind. 
Bei den bedeutenden Geldsummen, die die 
Erfüllung derartiger Aufgaben beausprucht, kann 
auch hier nur der Staat der Unternehmer sein.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.