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Strecken fehlt er überhaupt ganz. Natürlich tritt
da eine Ausnahme ein, wo größere Nebenflüsse
oder kleine Quellwässerchen in den Hauptstrom
einmünden. Hier entwickelt sich ein anderer, viel
reicherer Wald. An einem solchen kleinen Zu-
flüßchen des Pende, mit sandigen Ufern, die mit
lichten mannshohen Sträuchern bestanden und von
höheren Bäumen beschattet waren, sah ich die
Glossina palpalis auf Baumstämmen sitzen, auf
die durch das Blätterdach ein Sonnenfleck fiel.
Ganz ähnlich wie damals in Gore liegen auch
die Verhältnisse am Borro. Der Uferwald ist
dicht, aber für das Sonnenlicht durchlässig, der
Fluß ein strömender Bach mit sandigen Ufern.
Es scheint, daß die Glossina palpalis ein
dichtes, aber für die Sonnenstrahlen durchlässiges,
womöglich von hohen Bäumen überschattetes Ufer-
gebüsch und sandige Ufer bevorzugt. Ob das
Wasser fließend ist oder stehend, scheint nicht von
ausschlaggebender Bedeutung zu sein. Bemerken
muß ich noch, daß die Glossinen sich in beiden
Fällen an viel begangenen Flußübergangsstellen
finden. Es scheint, als ob ihre Nahrung vorzugs-
weise aus Menschenblut bestehe, denn Kaltblüter
gibt es an diesen Stellen nicht, und außer einigen
Vögeln leben nur Eichhörnchen in den Zweigen.
lber diese Dinge werde ich vielleicht später nach
Untersuchung meiner Blutpräparate näheren Auf-
schluß geben können. ,
Zur Vorbeugung einer Einschleppung der
Schlafkrankheit kann ich nur das wiederholen,
was ich bereits früher erwähnte. Der Schwer-
punkt der Bekämpfung liegt in der Verhütung
einer Einschleppung von Krankheitsfällen vom
Süden nach dem Norden. Alle übrigen Maß-
nahmen sind nebensächlich. Eine Abholzung des
von Glossinen bewohnten Uferwaldes ist bei seiner
gewaltigen Ausdehnung und der Mächtigkeit seines
Wuchses praktisch unausführbar. Selbst wenn
eine solche Möglichkeit bestände, würde die mit
der Abholzung verbundene Vernichtung eines der
wichtigsten und wertvollsten Naturprodukte dieser
Gegend, des Kautschuks, eine solche Maßnahme
durchaus verbieten. Im übrigen ist es noch die
Frage, ob im Falle einer Abholzung, über deren
Endzweck man überhaupt verschiedener Ansicht
sein kann, auch die Glossinen ausgerottet werden
könnten. Sicherlich ist auch den Glossinen ein
Anpassungsvermögen an gänzlich veränderte Ver-
hältnisse eigen, wie wir es bereits an einer Reihe
von Beispielen aus der Tierwelt kennen. Wenn
ich nicht irre, hat man in Zentralafrika bereits
beobachtet, daß nach völliger Beseitigung des
Busches die Glossinen nach wie vor vorhanden
waren, nur hatten sie sich jetzt das zerklüftete
schattige Ufergestein zu ihrem Aufenthalt gewählt.
Weit schwieriger, als die Lebensbedingungen
der Glossina palpalis zu ergründen, von der wir
wenigstens wissen, daß Wasser und schattiges Ge-
strüpp zu ihrer Existenz nötig sind, ist es, sich
eine Erklärung über die Lebensgewohnheiten der
Glossina morsitans zu geben. In einem Gebiete,
das in der Oberflächengestaltung und Vegetation,
überhaupt in allen geopraphischen Punkten, dem
anderen durchaus gleich scheint, kommt die Glos-
sina morsitans zu Hunderten vor, im anderen
fehlt sie gänzlich und immer. Geradezu auf-
fallend ist es, daß die Tsetse in Gebieten, wo es
nur wenig Wild gibt, in großer Menge, in an-
deren, unmittelbar an jene angrenzenden Gebieten,
wo es von Wild wimmelt, dagegen nicht vor-
kommt. Hier am Uam, wo sich die Vegetation
und die Oberflächengestaltung des Landes kaum
von dem Norden unterscheidet, ist die Tsetsefliege
nirgends nachzuweisen, obwohl zahlreiches Wild
vorhanden ist. Dieses Gebiet aber grenzt im
Norden an wildarme Gebiete, in denen die
Glossinen weit häufiger sind. Ahnliche Beobach-
tungen habe ich auch in Ostafrika machen können.
Nach gemeinsamen Feststellungen bleibt die
Glossina morsitans auf das östliche Ufer des
Pende beschränkt. Die Grenze nach Westen und
Süden verläuft etwa von Gore am Pende ent-
lang bis zum 7. Breitengrad und geht dann nach
Osten bis zum Nana Baria. Auf dieser Strecke
fällt sie mit den Ausläufern des Jade-Plateaus
zusammen. Wie weit die Glossinen nach Osten
in französisches Gebiet vordringen, ist nicht be-
kannt. Weiter südlich, am großen Nordbogen
des Uam, in der ganzen Umgegend von Bosum,
südlich und östlich von Bate kommt sie nicht mehr
vor. Ebenso soll sie nach den Angaben der fran-
zösischen Grenzkommission in dem ganzen Gebiet
zwischen Uam und der Pamaquelle fehlen. Auch
die Glossina palpalis soll hier nicht vorkommen.
Eine ganz genaue Angabe des Verbreitungs-
gebietes beider Glossinenarten wird erst nach
Fertigstellung der neuen Karten von Gore bis
zum Pama möglich sein. Anzufügen ist noch,
daß die Glossina morsitans dort, wo sie auf-
tritt, nicht sehr häufig ist. Über den Grad der
Infektion des Wildes wird sich später an der
Hand meiner Blutpräparate Näheres sagen lassen.
Wie ich schon in meinem Bericht vom 1. Ja-
nuar für die nördlichen Gebiete das Fehlen der
Überträger des Rückfallsiebers und das Fehlen
der Sandflöhe feststellen konnte, so kann ich auch
für die jetzt bereisten Gebiete diese erfreuliche
Tatsache bestätigen. Die von mir erwähnten
lästigen Sandfliegen im Norden sind ebenfalls fast
gänzlich verschwunden, doch ist das Vorkommen
verschiedener, anscheinend für den Menschen nicht
patogener Stechfliegen (Tabaniden) in der Nähe
der Galeriewälder häufiger geworden.