Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXIV. Jahrgang, 1913. (24)

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rung war nahe der Grenze hier nicht so dicht 
wie auf der Ruandaseite. Die Pflanzungen und 
Niederlassungen der Eingeborenen sind oft von 
Poristrecken durchbrochen. Beim Weitermarsch 
nach Osten nahm die Bevölkerung stetig zu, um 
vom dritten Tagemarsch ab etwa die gleiche Dich- 
tigkeit wie in den durchwanderten Teilen von 
Ruanda zu erreichen. 
Am zweiten Tage kam ich in Kaninja an, 
wohin sich eine Reihe von Sultanen zu meiner 
Begrüßung begeben hatte, darunter Darugera, 
der Onkel des größten Sultans Mutaka, der 
infolge einer Erkrankung an Windpocken selbst 
nicht hatte kommen können. Es hatten sich mehrere 
tausend mit Speeren bewaffnete Eingeborene ver- 
sammelt, ein geschlossener Trupp von Tänzern, 
aus etwa 1000 Mann bestehend, kam mir im 
Tanzschritt zur Begrüßung entgegen. Es war ein 
prachtvoller Anblick, diese mit Leoparden= und 
Servalfellen geschmückten, Speer, Pfeil und Bogen 
in den Händen haltenden Krieger auf uns zu und 
an uns vorbeistürmen zu sehen. 
Unter den erschienenen Sultanen befanden sich 
auch einige, gegen die noch vor wenigen Jahren 
die Schutztruppe hatte Expeditionen unternehmen 
müssen. Die Geschichte Urundis seit der deutschen 
Besitzergreifung ist leider unerfreulich und steht im 
Gegensatz zu der bisher friedlichen und angenehmen 
Gestaltung der Dinge in Ruanda. 
Nach Errichtung der Militärstation (seit 1905 
Residentur) Usumbura wurden gegen den Haupt- 
sultan Kissabo, der sich der deutschen Herrschaft 
zu entziehen suchte, Expeditionen unternommen, 
die 1902 zu seiner Unterwerfung führten. Auf 
deutscher Seite hatten hierbei mehrere der kleineren 
Sultane Urundis mitgewirkt, deren Selbständigkeit 
nicht angetastet wurde. Nachdem dies geschehen 
war, ordnete Gouverneur Graf v. Götzen an, 
daß die Macht des unterworfenen Kissabo wieder 
hergestellt und ihm die kleineren Sultane wieder 
unterstellt werden sollten, damit durch seine Ver- 
mittlung Urundi regiert werde, wie Ruanda durch 
die Msingas. Der Refident Hauptmann v. Gra- 
wert bemühte sich sechs Jahre hindurch, dies 
durchguführen, aber ohne endgültigen Erfolg. Ein 
Teil der Sultane, darunter einige, die auf deutscher 
Seite mit gegen Kissabo Krieg geführt hatten, 
lehnten es ab, sich dem Sultan zu unterstellen, 
da bereits ihre Väter von diesem unabhängig ge- 
wesen seien. Der innere Grund dieses hartnäckigen 
Widerstandes war wohl mit darin zu suchen, daß 
die Sultane im Falle ihrer Unterstellung unter 
den Obersultan für ihr Leben fürchteten. Sie 
gehören sämtlich wie auch Kissabo und dessen 
jetzt regierender Sohn Mutaga zu der Herrscher- 
familie der Waganwa, in welcher der Mord ent—- 
fernter Verwandter, um deren Land und Viehbesitz 
  
für sich oder nähere Berwandte einzuziehen, zu 
den geschichtlichen Einrichtungen gehört. Es kam 
zu einer Reihe von Expeditionen, in denen die 
Schutztruppe siegreich blieb, ohne aber doch das 
Ziel der Unterwerfung sämtlicher Eingeborenen 
unter den Obersultan zu erreichen. So herrschte 
ein fast beständiger Kriegszustand, bis 1909 vom 
Gouverneur Freiherrn v. Rechenberg die Politik 
dahin geändert wurde, daß die Macht Kissabos 
nur so weit aufrecht erhalten werde, wie sie tat- 
sächlich vorhanden sei und daß die de kacto un- 
abhängigen Sultane als solche anzuerkennen seien. 
Es kehrte nunmehr Frieden ein, nur im Süden 
kam es noch weiterhin zu Uberfällen von Kara- 
wanen, die eine zur Zeit noch bestehende Sperrung 
des Südteils von Urundi erforderlich machten. 
Die Sultane wie die sonst zahlreich erschienenen 
Waganwa waren meist schlank gewachsene, gut 
aussehende Leute mit intelligenten Gesichtern. 
Doch fehlten bei ihnen wie bei den übrigen 
Watussi, die auch in Urundi die herrschende Klasse 
darstellen, die Riesenfiguren, wie sie in Ruanda 
häufig sind. Die Watussi Urundis, wie auch die 
hier gleichfalls das Gros der Bevölkerung aus- 
machenden Wahutu, tragen im Gegensatz zu den 
auffallenden Haartrachten der Wanyaruanda das 
Haar kurz geschoren oder rafiert und find meist 
noch mit Rindengewändern bekleidet. Die ganze 
Bevölkerung macht einen temperamentvolleren 
Eindruck als in Ruanda. Wie das Benehmen 
der Sultane und der sonstigen Watussi Urundis 
weit weniger reserviert und höflich, dabei naiver 
ist als das der großen Häuptlinge in Ruanda, 
so lassen auch die übrigen Warundi ihren Gefühlen 
in Freude und Unlust weit mehr freien Lauf, 
als es die verschlossenen Wahutu Ruandas tun. 
Es kam auch wiederholt vor, daß Träger aus 
dem Lager davonliefen, und vereinzelt selbst, daß 
sie unterwegs Lasten abwarfen und im Busch 
verschwanden — Vorfälle, die sich während meiner 
Reise im Bukobabezirk und in Ruanda überhaupt 
nicht ereignet hatten. Auch sonst soll sich nicht 
selten bei den Eingeborenen ein passiver Wider- 
stand zeigen. Ob hier der Charakter der Warundi 
oder die geringere Organisation der Sultans- 
gewalt die Ursache ist oder ob die Erfahrungen, 
die die Warundi in der Zeit der Kämpfe mit den 
Europäern gemacht haben, entscheidend find, läßt 
sich schwer beurteilen. 
In Kaninja fanden den Nachmittag Über 
größere Tänze statt, bei denen ein Sultan nach 
dem andern die stattliche Schar seiner Tänzer 
auftreten ließ. Die Tänze wirkten besonders 
durch die Wucht der Masse und die Gleichmäßig= 
keit der rhythmischen Schritt= und Stampfbewe- 
gungen, die bisweilen durch Hochsprünge und 
plötzliches Vorstürmen unterbrochen wurden. Dazu
	        
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