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rung war nahe der Grenze hier nicht so dicht
wie auf der Ruandaseite. Die Pflanzungen und
Niederlassungen der Eingeborenen sind oft von
Poristrecken durchbrochen. Beim Weitermarsch
nach Osten nahm die Bevölkerung stetig zu, um
vom dritten Tagemarsch ab etwa die gleiche Dich-
tigkeit wie in den durchwanderten Teilen von
Ruanda zu erreichen.
Am zweiten Tage kam ich in Kaninja an,
wohin sich eine Reihe von Sultanen zu meiner
Begrüßung begeben hatte, darunter Darugera,
der Onkel des größten Sultans Mutaka, der
infolge einer Erkrankung an Windpocken selbst
nicht hatte kommen können. Es hatten sich mehrere
tausend mit Speeren bewaffnete Eingeborene ver-
sammelt, ein geschlossener Trupp von Tänzern,
aus etwa 1000 Mann bestehend, kam mir im
Tanzschritt zur Begrüßung entgegen. Es war ein
prachtvoller Anblick, diese mit Leoparden= und
Servalfellen geschmückten, Speer, Pfeil und Bogen
in den Händen haltenden Krieger auf uns zu und
an uns vorbeistürmen zu sehen.
Unter den erschienenen Sultanen befanden sich
auch einige, gegen die noch vor wenigen Jahren
die Schutztruppe hatte Expeditionen unternehmen
müssen. Die Geschichte Urundis seit der deutschen
Besitzergreifung ist leider unerfreulich und steht im
Gegensatz zu der bisher friedlichen und angenehmen
Gestaltung der Dinge in Ruanda.
Nach Errichtung der Militärstation (seit 1905
Residentur) Usumbura wurden gegen den Haupt-
sultan Kissabo, der sich der deutschen Herrschaft
zu entziehen suchte, Expeditionen unternommen,
die 1902 zu seiner Unterwerfung führten. Auf
deutscher Seite hatten hierbei mehrere der kleineren
Sultane Urundis mitgewirkt, deren Selbständigkeit
nicht angetastet wurde. Nachdem dies geschehen
war, ordnete Gouverneur Graf v. Götzen an,
daß die Macht des unterworfenen Kissabo wieder
hergestellt und ihm die kleineren Sultane wieder
unterstellt werden sollten, damit durch seine Ver-
mittlung Urundi regiert werde, wie Ruanda durch
die Msingas. Der Refident Hauptmann v. Gra-
wert bemühte sich sechs Jahre hindurch, dies
durchguführen, aber ohne endgültigen Erfolg. Ein
Teil der Sultane, darunter einige, die auf deutscher
Seite mit gegen Kissabo Krieg geführt hatten,
lehnten es ab, sich dem Sultan zu unterstellen,
da bereits ihre Väter von diesem unabhängig ge-
wesen seien. Der innere Grund dieses hartnäckigen
Widerstandes war wohl mit darin zu suchen, daß
die Sultane im Falle ihrer Unterstellung unter
den Obersultan für ihr Leben fürchteten. Sie
gehören sämtlich wie auch Kissabo und dessen
jetzt regierender Sohn Mutaga zu der Herrscher-
familie der Waganwa, in welcher der Mord ent—-
fernter Verwandter, um deren Land und Viehbesitz
für sich oder nähere Berwandte einzuziehen, zu
den geschichtlichen Einrichtungen gehört. Es kam
zu einer Reihe von Expeditionen, in denen die
Schutztruppe siegreich blieb, ohne aber doch das
Ziel der Unterwerfung sämtlicher Eingeborenen
unter den Obersultan zu erreichen. So herrschte
ein fast beständiger Kriegszustand, bis 1909 vom
Gouverneur Freiherrn v. Rechenberg die Politik
dahin geändert wurde, daß die Macht Kissabos
nur so weit aufrecht erhalten werde, wie sie tat-
sächlich vorhanden sei und daß die de kacto un-
abhängigen Sultane als solche anzuerkennen seien.
Es kehrte nunmehr Frieden ein, nur im Süden
kam es noch weiterhin zu Uberfällen von Kara-
wanen, die eine zur Zeit noch bestehende Sperrung
des Südteils von Urundi erforderlich machten.
Die Sultane wie die sonst zahlreich erschienenen
Waganwa waren meist schlank gewachsene, gut
aussehende Leute mit intelligenten Gesichtern.
Doch fehlten bei ihnen wie bei den übrigen
Watussi, die auch in Urundi die herrschende Klasse
darstellen, die Riesenfiguren, wie sie in Ruanda
häufig sind. Die Watussi Urundis, wie auch die
hier gleichfalls das Gros der Bevölkerung aus-
machenden Wahutu, tragen im Gegensatz zu den
auffallenden Haartrachten der Wanyaruanda das
Haar kurz geschoren oder rafiert und find meist
noch mit Rindengewändern bekleidet. Die ganze
Bevölkerung macht einen temperamentvolleren
Eindruck als in Ruanda. Wie das Benehmen
der Sultane und der sonstigen Watussi Urundis
weit weniger reserviert und höflich, dabei naiver
ist als das der großen Häuptlinge in Ruanda,
so lassen auch die übrigen Warundi ihren Gefühlen
in Freude und Unlust weit mehr freien Lauf,
als es die verschlossenen Wahutu Ruandas tun.
Es kam auch wiederholt vor, daß Träger aus
dem Lager davonliefen, und vereinzelt selbst, daß
sie unterwegs Lasten abwarfen und im Busch
verschwanden — Vorfälle, die sich während meiner
Reise im Bukobabezirk und in Ruanda überhaupt
nicht ereignet hatten. Auch sonst soll sich nicht
selten bei den Eingeborenen ein passiver Wider-
stand zeigen. Ob hier der Charakter der Warundi
oder die geringere Organisation der Sultans-
gewalt die Ursache ist oder ob die Erfahrungen,
die die Warundi in der Zeit der Kämpfe mit den
Europäern gemacht haben, entscheidend find, läßt
sich schwer beurteilen.
In Kaninja fanden den Nachmittag Über
größere Tänze statt, bei denen ein Sultan nach
dem andern die stattliche Schar seiner Tänzer
auftreten ließ. Die Tänze wirkten besonders
durch die Wucht der Masse und die Gleichmäßig=
keit der rhythmischen Schritt= und Stampfbewe-
gungen, die bisweilen durch Hochsprünge und
plötzliches Vorstürmen unterbrochen wurden. Dazu