Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXV. Jahrgang, 1914. (25)

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sie in dieser Pflicht, die, wie wir sahen, neuerdings 
für sie schon erschwert ist durch die relative Zunahme 
der unprodultiven Altersklassen. Nichts liegt für die 
Frau näher, als dieser Behinderung sich diesh die Ab- 
treibung zu entledigen. Weiter kommt die Scheu vor 
der Beeinträchtigung der körperlichen Schönheit durch 
das Wochenbett hinzu und der Wunsch, das ungebundene 
Jugendleben möglichst spät gegen die pflichtenreiche 
Ebe einzutauschen. Schließlich besteht bei den Jap- 
frauen auch eine nicht ganz unbegründete Furcht vor 
den Folgen der Eutbindung, die verhältnismäßig häufig 
lebensgefährlichen Komplikationen zu führen scheint. 
lle diese Gründe bedingen Kinderschen, die im Kampfe 
mit der Kinderliebe nur gar zu oft den Sieg davon- 
trägt. So erklärt sich die widerspruchsvolle Tatsache, 
daß bei einem Volke, das sich nach Kindern sehnt und 
sie mit größter Hingabe pflegt, die Fruchtabtreibung 
in vollstem Schwange ist. Ihr direkter Anteil am 
Ausfall der Kinderzahlen ist sicher sehr groß. 
Wir haben im Laufe unserer bisherigen Betrach- 
tungen mancherlei Einflüsse kennen gelernt, die eine 
Herabminderung der Geburten verschulden. Aber es 
muß noch irgendein weiterer Umstand in der Fort- 
bflanzungshugiene des Volkes mitsprechen, der neben 
ihrer geringen Zahl das auffällige Uberwiegen der 
männlichen über die weiblichen bedingt. Viele Forscher 
haben sich bemüht, eine brauchbare Hypothese für die 
Abhängigkeit des menschlichen Geschlechtes von äußeren 
Einflüssen aufzustellen. Man hat gesagt, daß ein großer 
Altersunterschied der Eltern zu Knabengeburten dispo- 
niert; man hat ihr Ansteigen nach Kriegen und bei 
ungünstiger wirtschaftlicher Lage mit Unterernährung 
breiter Volksschichten Oepbochtch u#sw. Aber eine all- 
gemein anerkannte Theorie, welche die letzten brsachen 
dieser sonderbaren Erscheinung enthüllte, haben w 
nicht, und wir müssen uns den resignierten Worto 
Darwins anschließen, der sich in seiner „Abstammung 
des Menschen“ gleichfalls dieser Frage gewidmet hat: 
„Ich erkenne jetzt, das ganze Problem sei so verwickelt, 
daß es besser ist, die Lösung der Zukunft zu überlassen.“ 
Trotzdem wissen wir das eine sicher, daß alle im Nieder- 
ang befindlichen Stämme diese Erscheinung des hohen 
Anaheniberschusses dauernd, und daß andere Völker 
zur Zeit einer schweren Krisis sie oft vorübergehend 
zeigen. Auf Neusecland hat jahrzehntelang fast das 
gleiche Verhältnis der Geburten von 130: 100 bestanden 
wie auf Jap, ebenso auf den Sandwichinseln oder bei 
den ausgestorbenen Tasmaniern; und viele unserer 
Volkszählungen auf anderen Inseln von Deutsch-Neu- 
guinca ergeben die gleiche Verteilung der Geschlechter. 
Es ist nicht möglich, sie, wie Kopp') neuerdings für 
Neu-Pommern will, aus einer Hröberen Sterblichkeit 
des weiblichen Geschlechtes durch berlastun abzuleiten, 
denn sie ist ja bereits bei der Geburt vorhanden, und 
der Überschuß des männlichen Geschlechtes # auch bei 
seinen Zahlen (Seite 731 l. c.) für die Kinder bedeutend 
öher als für die Erwachsenen. was eher auf eine 
höhere, ausgleichende Sterblichkeit des männlichen 
Geschlechtes schließen läßt. 
Kennen wir also auch die letzten Ursachen der 
Hanzen, Erscheinung nicht, so halte ich so viel doch für 
sicher, daß sie der Ausdruck einer Störung des normalen 
Fortpflanzungsmodus des betreffenden Volkes ist, dem 
bei längerem Bestande die Bedentung eines signum 
mali ominis zukommt. 
  
  
  
*) Kopp, Zur Frage des Bevölkerungsrückganges 
in. Zeuspeemern. Archiv für Schiffs= u. Tropenhyg. 
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VII. Abhilfe. 
Die vorhergehenden Kapitel waren im legtzten 
Grunde ein ununterbrochenes Argument für den Nieder- 
gang unseres Insel volkes. Fassen wir alles noch ein- 
mal kurz zusammen. Die Volkszahl kann zurückgehen 
aus zwei in ihrem Wesen verschiedenen Gründen: der 
Nachwuchs kann zu gering sein, als daß sie sich auf 
ihrer Höhe erhält oder dieser ist an sich groß genng,. 
aber die Sterblichkeit im Volke ist so groß, daß es 
abnimmt. Im ersten Falle ist die dem Kolonial= 
hogieniter gestellte Frage die, wie können wir die 
Kinderzahl vermehren, im zweiten die, wie 
können wir die Menschenzahl erhalten? Der 
Leser wird bereits empfunden haben, daß der Rückgang 
Japs nach beiden Typen vor sich geht. da wir sowohl 
eine hohe Sterblichkeit der Erwachsenen wie eine un- 
gemein niedrige Geburtenzahl haben. Die Gründe beider 
haben wir kennen gelernt. Die Heimsuchungen durch 
endemische und epidemische Krankheiten, zu einem großen 
Teile exogenen Ursprungs, würden selbst bei normaler 
Linderzaht verlustreich genug sein, um ein Anwachsen 
der Bevölkerung hintanzuhalten. Wir sahen, wie die 
insulare Lage und bestimmte Volkssitten ihre Aus- 
breitung begünstigen, wie eine Krankheit die andere 
in ihrem Verlaufe verschlimmert, wir sahen ferner, wie 
die geringe Widerstandskraft gegen Infektionen außer 
durch konstitutionelle Leiden durch den Mangel eiweiß- 
reicher Nahrung erhöht wird, wie eine allgemeine 
Bodenverarmung in Frage steht und wie die einstige 
Schnapsdurchseuchun zur Erschütterung der Volks- 
wirtschaft und Volkskraft beigetragen hat. Als Kom- 
ponenten, die den zu geringen Nachwuchs verschulden, 
ernten wir eine Reihe von Krankheiten mit nach- 
olgender vorübergehender oder dauernder Kinder- 
osigkeit kennen. Wir haben den ganz eigenartigen 
Volksaufbau der Insel betrachtet und gesehen, wie das 
Familienleben der Leute ins Wanken geraten ist, wie 
hre eigenartige Sexnalmoral der venerischen Durch- 
euchung Vorschub leistet und wie die in verschiedenen 
irsachen wurzelnde Kinderschen zu viel geübter Frucht- 
abtreibung führt. 
Wie können wir Abhilfe schaffen? Besteht überhaupt 
noch Aussicht, daß ein Volk in diesem Stadium einer 
Krisis sich wieder erholt? Nun, ich glaube, wir brauchen 
vor dem Gespenst einer unrettbaren Degeneration nicht 
zu kapitulieren. Gerade bei den Karolinern berechtigen 
verschiedene Umstände zur Hoffnung. Wir kennen zwar 
Südseevölker, bei denen eine 'hleichartige Krisis in den 
Untergang ausgeklungen ist, aber wir haben auch 
andere, die sie überwunden und sich zu neuem Anstieg 
aufgerafft haben. Wir dürfen annehmen, daß die 
Schädlinge der Volksgesundheit erst seit verhältuis- 
mäßig kurzer Zeit am Werke sind, und daß noch ge- 
nügend unversehrte Einzelwesen für eine Neuzucht 
vorhauden sind. Vor allem aber dürfen wir daraus 
zuversicht schöpfen, daß sie selbst die drohenden 
ð. fahren wenigstens einigermaßen erkannt haben und 
daß sie gern wieder emporsteigen möchten. Sie wollen 
wohl vorwärts, aber sie können nicht; wieder im 
Gegensatz zu vielen Negervölkern, die wohl könnten. 
aber nicht wollen. Wir werden sie deshalb zu eigener 
Mitarbeit bringen können, unsere Maßnahmen werden 
keinen Widerstand finden und werden sich auch leicht 
auf ihren Erfolg kontrollieren lassen. Wenn wir jetzt 
zu konkreten Vorschlägen für das Sanierungswerk 
übergehen, so müssen diese entsprechend den uns bekannt 
gewordenen Gefahren solche sein. die neues Unheil 
vom Volke fernhalten und solche, die es von den ihm 
schon im Genick si enden alten Feinden befreit; unser 
Hodeeln hat prophylaktisch und therapeutisch zu sein- 
1. Die wirksamste Waffe gegen die Einschleppung 
  
 
	        
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