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Die Eingeborenen fanden sich willig und zahlreich ein,
hatten uns ein eigenes Rasthaus gebaut, nahmen uns
gut auf und zeigten — es war noch nie ein Arzt bei
ihnen gewesen — von vornherein für ärztliche Be-
mühungen unerwartetes Verständnis. Sie gaben über
alles Auskunft, was wir wissen wollten, und erklärten
ich bereit, einen jungen Mann zur Ausbildung als
Heilgehilfen nach Herbertshöhe zu entsenden. Daß
diese Zugänglichkeit nicht nur momentan oder gar
cheinbar war, wurde uns durch folgende erfreuliche
Nachwirkung unseres Besuches erwiesen: Zwei doppel-
eitig starblinde Baininger sind in mühseligem Marsche
durch Schluchten und über Berge, von einem Jungen
geführt, tagelang hinter Külz hergezogen nach Her-
bertshöhe, von wo er sie am Schlusse der Reisezeit
ins Eingeborenenkrankenhaus Rabauls gebracht und
vor einigen Tagen zunächst einseitig erfolgreich operiert
hat.“) Beide hatten schon ihrer langjährigen Blind-
heit wegen nie einen Weißen oder eine Europäer=
niederlassung gesehen. Es ist zu hoffen, daß der
Eindruck der ärztlichen-Hilfe, die diesen beiden Blinden,
deren einer Häuptling ist, gebracht werden konnte,
und die weiteren Eindrücke, die sie in Rabaul erhalten,
günstig auf die Zugänglichkeit weiterer Teile dieses
unerschlossenen Volksstammes wirken wird.
II. Was unsere demographischen und volks-
gesundheitlichen Feststellungen anbetrifft, so
wollen wir die vier sehr ungleichwertigen Stämme
des Beobachtungsfeldes getreunt betrachten. Sehr
hünstig trifft es sich, daß sich unser Gebiet unmittel-
bar an das weiter westlich gelegene anschließt, das
unlängst von Dr. Kopp") beleuchtet wurde, so daß
wir wenigstens für den ganzen Norden Neupommerns
ein in seinen Hauptzügen klares Bild gewinnen.
1. Die Kanaken. Sie sind der weitaus größte
Volksstamm der Gazellehalbinsel. der eingige
wirklich in allen Teilen organisierte auf ganz Neu-
vommern und als der unmittelbar im Hinterlande des
Rabaulbezirkes wohnende auch in vieler Hinsicht der
wichtigste. Für den ganzen Distrikt der Gazelle-
halbinsel sind 1910 amtlich 30 752 Kanaken gezählt
worden (vgl. Tab. !), was für tropische Verhält-
nisse eine ungemein dichte Besiedelung bedeutet,
die, auf den Quadratkilometer berechnet, nur wenig
hinter der durchschnittlichen Volksdichte Preußens
zurücksteht: Im einzelnen wurden gezählt 10 197
Männer, 8 932 Frauen sowie 6399 Knaben und
5229 Mädchen. Schon diese Zahlen zeigen, daß die
Kanaken einen großen Kinderreichtum haben, da auf
1000 Erwachsene 608 Kinder zutsalen Selbst unter
der Voraussetzung einer sehr ho allgemeinen
Sterblichleit ist Lbeer eine auem#ne Volksabnahme
höchst unwahrscheinlich
Tabelle I. kurgeneine Volkszählung der
Kanaken 1910.
Gesamtzahl . 30 752
darunter Männer 10 197
- Frauen 8 932
Knaben 6 399
r à
229
Auf 1000 Erwachsene entfallen K. K Kr0 608.
Verhältnis der Fraucn zu den Männern: 100: 114
Mädchen zu den Knaben: 100: 122.
*") Da 28. nur kursen Aufenthalt in Rabaul
nehmen konnte, habes Dr. Kersten und VWick sich
liebenswürdigerweise bereit erklärt, die Nachbehand-
lung“ zu süernehmen.
p, Zur Frage des Bevölkerungsrückganges
in ghese, 5i für Schiffs- u. Tropenhyg.,
1913, Seite
Leider können wir noch keine amtlichen Auf-
zeichnungen über die Zahl der jährlichen oder perio-
disch ermittelten Geburten und Todesfälle heran-
ziehen, aus denen hervorginge. um wieviel jene in
der Uberzahl sind. Die einzige Quelle, aus der
bisher Material darüber zu schöpfen ist, sind die
Kirchenbücher der Missionare. Soweit ich von ibnen
Auskunft erbitten konnte, haben wir in fast
Kirchspielen der Kanaken einen ansehnlichen (#bnasten
überschuß. Um neben diesen gewissermaßen unbelebten
statistischen Daten auch vitalstatistisches Material zu
gewinnen, haben wir uns auf dem bereits geschilderten
Wege bemüht, in verschiedenen Gegenden Stichproben
nach dieser Richtung hin zu halten. Dazu wurden
4 Komplexe des Bezirkes Herbertshöhe gewählt. Der
erste umfaßte die Dörfer Tahubar, Bitagalip, Ramale,
Lirnan und Ulalun der zweite Ballada, Katakatoi,
Tabunu, Ratawell, Togoro und Tavui; der dritte
tanalar, Burbur, Karun, Labange und der vierte die
Umgegend von Toma. Die meisten der genannten
Ortsnamen sind in der beigefügten Kartenskizze ein-
getragen. Anßer 471 Frauen wurden noch 1005 Männer
und Kinder registriert. Eine erwünschte Bereicherung
erfuhr unser Material dadurch, daß Dr. Kersten-
Rabaul die Freundlichkeit hatte, auf einer Dienstreise
auf den Herbertshöhe vorgelagerten Inseln der Neu-
Lauenburggruppe gleichartige Ermittlungen angustellen.
Unsere Ergebnisse sind in Tabelle II zusammengestellt.
Aus ihr ergibt sich eine große Homogenität der ersten
drei Beobachtungsgruppen binsichtlich Gebartenzahl,
Kindersterblichkeit usw Sie war selbst beim Ver-
gleiche der einzelnen Dörfer vorhundel. Nur ein Dorf
an der Kabangebucht zeigte auffallend schlechtere
Kinderzahlen als die übrigen, obwohl es sich sonst
um den gleichen Menschenschlag unter. denselben Er-
nährungsbedingungen, mit den gleichen Krankheiten
handelte. Schließlich glauben wh die Lösung dieses
Rätsels wohl richtig darin gefunden zu haben, daß
gerade hier in der Kabangebucht und den angrenzenden
Uferteilen in früherer Zeit sehr viel junge Leute auf
lange Zeit außer Landes angeworben wurden, und
zwar hier vornehmlich nach den Tongainseln. Die
wenigen Überlebenden, die einst dorthin erportiert
worden waren, erzählten übereinstimmend. daß ein
ganzes Schiff voll hingekommen, aber nur sehr wenige
zurückgekehrt seien. Die landeinwärts liegenden
Dörfer der Kanaken sind früher völlig von solchen
Aushebungen verschont geblieben und arbeiten auch
heute noch nur wenig außerhalb ihres Landes.
Als 4. Gruppe haben wir das bei Toma gelegene
Dorf Nangananga herausgehoben, weil es umgekehrt
eine ganz auffallend tiefe Sterblichleit? der Kinder be-
sonders im ersten Lebensjahr hatte. Der Grund war
nicht schwer zu ermitteln. Die Landschaft liegt 350
bis 400 m über dem Meere und ist bei durchlässigem
Bimssteinboden fast moskitofrei. Diese Gunst der
örtlichen Verhältnisse sprach sich deutlich im Malaria=
inder aus. Obwohl gerade zur Zeit unserer Unter-
suchungen die Fiebersaison herrschte, waren unter
50 Kindern bis zu 12 Jahren nur 7 mit Milz=
schwellung zu finden. Wir gehen wohl laum fehl,
wenn wir in diesem Zurücktreten der Malaria den
Hauptgrund für die geringere Kindersterblichkeit er-
blicken, denn alle übrigen Verhältnisse sind genau die-
selben wie in den anderen Landschaften.
Bewerten wir unser statistisches Material als
Ganzes, so gestattet es höchst erfreuliche Schlüsse. Ist
doch die durchschnittliche Fruchtbarkeit der Frauen er-
heblich größer als z. B. in den Kulturstaaten und
annähernd dreimal so groß als auf der Karolinen-
insel Jap, über die wir unlängst berichteten. Ich