— 107 —
Diese Einschränkungen sind von erheblicher Bedeutung für die
Bekämpfung der betreffenden Krankheit. Es ist klar, daß die Ent-
scheidung darüber, ob krankheitsverdächtige Personen wirklich krank
sind, und ob ansteckungsverdächtige Personen den Ansteckungsstoff
wirklich in sich aufgenommen haben, bei denjenigen Krankheiten,
deren Erreger bekannt ist, nur auf Grund der bakteriologischen
Untersuchung entschieden werden kann. Eine solche Untersuchung
zu erzwingen, ist die Polizeibehörde aber nur bei denjenigen Krank-
heiten in der Lage, bei welchen das Gesetz eine Beobachtung der
Krankheitsverdächtigen und der Ansteckungsverdächtigen zuläßt. Im
Falle des Krankheitsverdachtes ist die Beobachtung, also auch die Er-
zwingung einer bakteriologischen Untersuchung gesetzlich zulässig
unter den bakteriologisch aufgeklärten Krankheiten bei Aussatz,
Cholera, Pest, Rotz, Rückfallieber und Typhus, sowie bei Syphilis
und Tripper, sofern es sich um Personen handelt, welche gewerbs-
mäßig Unzucht treiben. Hiernach hat also eine Person, welche unter
typhusverdächtigen Erscheinungen erkrankt ist, nicht das Recht, die
Hergabe von Untersuchungsmaterial zur bakteriologischen Untersuchung
zu verweigern. Dagegen ist die Beobachtung von ansteckungsver-
dächtigen Personen von den bakteriologisch aufgeklärten Krankheiten
nur zulässig bei Aussatz, Cholera, Pest. Daraus folgt, daß anscheinend
gesunde Personen in der Umgebung von Kranken, welche an Diphtherie,
Genickstarre, Rotz, Rückfallfieber, Ruhr und Typhus leiden, nicht
gezwungen werden können, etwas von ihren Ausleerungen zur bakterio-
logischen Untersuchung herzugeben. Dies ist zweifellos eine Lücke
im Gesetz. Bei der großen Rolle, welche solche Personen, wenn sie
die Krankheitserreger bei sich führen, ohne selbst erkrankt zu sein,
die sogenannten Bazillenträger, bei der Verbreitung von Krankheiten
spielen, wäre es im Interesse der Seuchenbekämpfung sehr erwünscht,
wenn man sie zu bakteriologischen Untersuchungen zwingen könnte.
Der beamtete Arzt, welcher mit der Feststellung einer übertragbaren
Krankheit beauftragt ist, muß sich dessen stets bewußt sein, daß eine
solche Befugnis zum Zwange nicht besteht. Es wird ihm aber sicher-
lich in den meisten Fällen gelingen, durch freundliche Vorstellungen
einen etwaigen Widerstand zu beseitigen. Die beamteten und prak-
tischen Ärzte werden sicherlich auch bei den Krankheiten, bei
welchen eine Beobachtung der ansteckungsverdächtigen Personen nicht
zulässig ist, eine solche in unauffälliger Weise durchführen können
und müssen. Sie werden, wenn ihr Amt oder Beruf sie in die Be-
hausung einer kranken Person führt, ihr Augenmerk auch auf die
gesunden Personen in der Umgebung derselben richten und sie immer
wieder auf die Gefahr, in welcher sie sich selbst befinden, und auf
die Notwendigkeit der Befolgung der Desinfektionsmaßregeln aufmerk-
sam machen.