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bezüglichen Anordnungen auch bereits für solche Ortschaften oder
Gegenden erlassen werden, in welchen die betreffende Krankheit noch
nicht aufgetreten ist.
Durch das preußische Gesetz werden die Befugnisse des $& 15
Ziff. 1 und 2 R.G. auf Diphtherie, Milzbrand, Scharlach und Typhus
ausgedehnt, jedoch mit der Maßgabe, daß diese Anordnungen nur für
Ortschaften zulässig sind, welche bereits von der Krankheit be-
fallen sind. Hier besteht also eine Einschränkung nach zwei Rich-
tungen hin: Während im Reichsgesetz von Ortschaften und Bezirken
die Rede ıst, ist im preußischen Gesetz nur von Ortschaften die Rede;
eine Anordnung auf Grund des S 15 darf also in einer Ortschaft nicht
etwa schon erlassen werden, wenn eine andere Ortschaft des betreffen-
den Kreises oder Regierungsbezirkes von der Seuche befallen ist,
sondern erst wenn die Krankheit in der Ortschaft selbst aufgetreten
ist. Die andere Einschränkung besteht darin, daß diese Anordnung
nicht präventiv, also nicht, wenn die Krankheit sich nähert, getroffen
werden darf, sondern erst, wenn die Krankheit wirklich da ist. Es
liegt auf der Hand, daß durch diese Einschränkung die Wirksamkeit
der Maßregel in hohem Grade beeinträchtigt wird; denn es kann nicht
ausbleiben, daß sie in vielen Fällen zu spät getroffen werden wird.
In $S 15 Abs. 1 R.G. ıst aber noch eine weitere Einschränkung
enthalten; es darf nämlich die Ausfuhr von Gegenständen der be-
zeichneten Art nur für Ortschaften verboten werden, in denen Cholera,
Fleckfieber, Pest oder Pocken ausgebrochen sind. Hieraus folgt un-
mittelbar, daß die Ausfuhr von Gegenständen der bezeichneten Art
für Ortschaften, in denen Diphtherie, Milzbrand, Scharlach oder Typhus
ausgebrochen ist, nicht verboten werden kann. Auch hierdurch wird
der Erfolg der Seuchenbekämpfung unter Umständen in Frage gestellt.
Es ist nämlich klar, daß z.B. die Ausfuhr von Milch aus einer Ort-
schaft, in welcher Typhus ausgebrochen ist, nicht verboten werden
kann, man ist nach den Bestimmungen des Gesetzes vielmehr ledig-
lich auf Maßregeln beschränkt, welche sich auf die Herstellung, Be-
handlung, Aufbewahrung und den Vertrieb der Milch am Orte der
Gewinnung selbst beschränken. Glücklicherweise reichen diese Maß-
regeln, wenn sie zweckmäßig getroffen werden, aus, um die Milch ihrer
Gefahren zu entkleiden. Ebensowenig gefährlich ist das Verbot,
schmutzige Wäsche, getragene Kleider und Lumpen von der Ausfuhr
auszuschließen, weil die Behörden es ja in der Hand haben, vor der
Ausfuhr eine wirksame Desinfektion bezw. Vernichtung der verdäch-
tigen Gegenstände anzuordnen.
In den allgemeinen Ausführungsbestimmungen zu dem preußischen
Gesetz wird in Ziff. 3, VI, Abs. 3 zu $ 8 noch ausdrücklich ange-
ordnet, daß mit dem Zeitpunkt, an welchem der Kranke in ein
Krankenhaus übergeführt und die Wohnung wirksam desinfiziert ist,
Kirchner, Seuchenbekämpfung. 9