Full text: Die gesetzlichen Grundlagen der Seuchenbekämpfung im Deutschen Reiche unter besonderer Berücksichtigung Preußens.

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bekanntlich in erheblicher Weise zu und erscheinen in den Ab- 
sonderungen des Kranken in kolossaler Menge. In der Flüssigkeit, 
welche dem Sterbenden aus Mund und Nase fließt, sind z. B. die Er- 
reger des Milzbrandes und der Pest in kolossalen Mengen vorhanden. 
Dasselbe gilt von Lungentuberkulose, Diphtherie, übertragbarer Genick- 
starre, Keuchhusten. Kranke, welche an Cholera, Ruhr oder Typhus 
zu Grunde gehen, sind häufig genug infolge der reichlichen Durchfälle 
mit bakterienhaltigem Kot beschmutzt. Die Krankheitskeime finden 
sich aber nicht nur am Körper des Kranken selbst, sondern in seiner 
Leib- und Bettwäsche und in der nächsten Umgebung des Sterbe- 
bettes. Die Personen, welche mit der Reinigung und Einsargung der 
Leiche sich «beschäftigen, und alle diejenigen, welche sich am Sterbe- 
lager aufhalten, sind daher auf das äußerste gefährdet. 
Die Pietät und religiöse Vorschriften bringen es mit sich, daß 
das Sterbelager und das Totenbett häufig den Mittelpunkt für 'die 
Versammlung zahlreicher Angehöriger und Freunde des Verstorbenen 
darstellt. Nicht nur, daß die nächsten Angehörigen die Leiche küssen 
und sich wiederholt in der Umgebung der offen aufgebahrten Leiche 
versammeln, in vielen Gegenden ist es auch üblich, daß sogenannte 
Leichenschmäuse veranstaltet werden, bei denen die Verwandten und 
Freunde im Nebenzimmer oder im Sterbezimmer selbst Nahrungsmittel 
zu sich nehmen, weil sie dadurch den Verstorbenen zu ehren glauben. 
Die Fälle, in denen sich an Leichenbegängnisse Krankheitsverschlep- 
pungen anschlossen, sind ganz außerordentlich häufig. Mit Recht wird 
daher durch $S 21 R.G. den Behörden die Befugnis eingeräumt, für 
die Aufbewahrung, Einsargung, Beförderung und Bestattung der 
Leichen von Personen, welche an einer gemeingefährlichen Krankheit, 
gestorben sind, besondere Vorsichtsmaßregeln anzuordnen. Diese Be- 
fugnis wird durch $S 8 P.G. auf Diphtherie, Milzbrand, Rotz, Ruhr, 
Scharlach und Typhus ausgedehnt. Als solche Vorsichtsmaßregeln 
werden in der Begründung zum Reichsgesetz folgende aufgezählt: 
Verbot der Ausstellung von Leichen in den Wohnungen oder in all- 
gemein zugänglichen Räumen; möglichst baldige Entfernung der Leiche. 
aus der Wohnung; Anwendung desinfizierender Stoffe beim Waschen 
und bei der Einsargung;, Verwendung festschließender Särge; Verbot 
von Leichenfeierlichkeiten im Sterbehause; Regelung der Beförderung 
der Leichen zum Bestattungsorte. 
In den allg. Ausführungsbest. zu $S 8 P.G. wird dies in Ziff. 3, 
XII näher ausgeführt. Die in vielen Gegenden, namentlich auf dem 
Lande übliche Sitte, daß Schulkinder die Leiche begleiten und am 
offenen Grabe singen, hat zu folgender Vorschrift Veranlassung ge- 
geben: „Das Betreten des Sterbehauses, die Begleitung der Leichen der 
an Diphtherie oder Scharlach verstorbenen Personen durch Schulkinder 
und das Singen der Schulkinder am offnen Grabe ist zu verbieten.“
	        
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