Full text: Die gesetzlichen Grundlagen der Seuchenbekämpfung im Deutschen Reiche unter besonderer Berücksichtigung Preußens.

a) Die sowohl im preußischen Regulativ vom S. Aug. 1855 als im Gesetz von 
1905 als anzeigepflichtig aufgeführten übertragbaren Krankheiten. 
Vergleicht man die anzeigepflichtigen Krankheiten des neuen 
preußischen Seuchengesetzes mit denjenigen des Regulativs von 1835, 
so finden sich dort und hier übereinstimmend: Ruhr, Scharlach, 
Typhus, Milzbrand, Rotz und Tollwut; ein Unterschied be- 
steht nur insofern, als nach dem Regulativ die Ruhr nurin der bös- 
artigen, ansteckenden und epidemisch sich verbreiten- 
den Form, nach dem neuen preufischen Seuchengesetz aber jeder 
Fall von übertragbarer Ruhr; nach dem Regulativ Scharlach 
nur, wenn besonders zahlreiche und besonders bösartige Fälle den 
Ärzten vorkommen, nach dem neuen preußischen Seuchengesetz aber 
jeder Fall von Scharlach; endlich nach dem Regulativ nur die zum 
Ausbruch gekommene Tollwut, nach dem neuen preußischen Seuchen- 
gesetz aber schon jede Bißverletzung durch ein tolles oder toll- 
wutverdächtiges Tier anzeigepflichtig ist. Die Gründe für diese Ande- 
rungen liegen auf der Hand. 
1. Ruhr. Wollte man die Ruhr erst dann anzeigepflichtig 
machen, wenn sie in bösartiger Form auftritt und sich epidemisch 
verbreitet, wie es im Regulativ geschehen, dann käme man in den 
meisten Fällen zu spät. Die Verhütung von Epidemien ist vielmehr 
nur möglich, wenn womöglich der erste Fall ın einer Ortschaft, d. h. 
also jeder auch noch so leichte Fall von übertragbarer Ruhr zur 
Anzeige gelangt. Die Krankheit, die früher sehr verbreitet und in 
sehr heftiger Form auftrat und namentlich zu Kriegszeiten, zuletzt 
1870/71, sich sehr unliebsam geltend machte, tritt in neuerer Zeit 
glücklicherweise seltener und milder auf. In Preußen starben von je 
10000 am 1. Jan. Lebenden an der Ruhr im Jahre 
1890 : 0,27 1894 : 0,35 1898: 0,26 1902 : 0,07 
1891: 0,27 1895 : 0,62 1899 : 0,37 1903 : 0,09 
1892: 0,33 1896: 0,24 1900: 0,21 1904 : 0,08 
1893 : 0,37 1897 : 0,29 1901 : 0,26 1905 : 0,08 
Die Sterblichkeit an Ruhr hat in neuerer Zeit also gegen früher 
abgenommen. Die Möglichkeit aber, daß sie trotzdem gelegentlich 
wieder in epidemischer Verbreitung auftritt, besteht fort, und energische 
sanitätspolizeiliche Maßregeln gegen sie sind um so notwendiger, als 
seit der Entdeckung des Ruhrbazillus durch Kruse und Shiga be- 
kannt ist, daß die Krankheit sich in ähnlicher Weise wie Typhus 
hauptsächlich durch Kontaktinfektion verbreitet, und daß gerade Leicht- 
kranke und anscheinend Gesunde (Bazillenträger) dabei die wichtigste 
Rolle spielen. 
Außerhalb Preußens besteht eine unbedingte Anzeigepflicht in 
einem jeden Falle von Ruhr in allen Bundesstaaten mit Ausnahme
	        
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