Full text: Die gesetzlichen Grundlagen der Seuchenbekämpfung im Deutschen Reiche unter besonderer Berücksichtigung Preußens.

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Vor dem Erlaß einer solchen Anordnung ist sorgfältig zu prüfen, ob die 
betreffende Anlage ihrer Lage, Bauart und Einrichtung nach geeignet ist, zur 
Verbreitung der Krankheit beizutragen. Die Entscheidung hierüber ist nicht ohne 
vorherige Anhörung des beamteten Arztes zu treffen. In Zweifelsfällen ist eine 
bakteriologische Untersuchung zu veranlassen. 
X. Die gänzliche oder teilweise Räumung von Wohnungen und Ge- 
bäuden, in denen Erkrankungen an Rückfallfieber, Ruhr oder Typhus vorge- 
kommen sind, kann, insoweit der beamtete Arzt es zur wirksamen Bekämpfung 
der Krankheit für unerläßlich erklärt, angeordnet werden. Den betroffenen Be- 
wohnern ist anderweit geeignete Unterkunft unentgeltlich zu bieten ($ 18 des 
Reichsgesetzes). 
Diese einschneidende, nicht selten erhebliche Aufwendungen bedingende Maß- 
regel darf nur ausnahmsweise in Fällen dringender Not, z. B. dann angeordnet 
werden, wenn die betreffenden Wohnungen und Gebäude so schlecht gehalten 
oder so überfüllt sind, daß sie die Bildung eines Seuchenherdes veranlaßt haben 
oder befürchten lassen. 
XI. Für Gegenstände und Räume, von denen anzunehmen ist, daß sie mit 
dem Krankheitsstoffe behaftet sind, kann eine Desinfektion angeordnet werden. 
Ist die Desinfektion nicht ausführbar oder im Verhältnis zum Werte der Gegen- 
stände zu kostspielig, so kann die Vernichtung angeordnet werden ($ 19 Abs. 1 
und 3 des Reichsgesetzes). 
Für die Ausführung der Desinfektion ist die anliegende Desinfektions- 
anweisung (Anlage 5) maßgebend. 
Es empfiehlt sich, in Gemeinden und weiteren Kommunalverbänden, welche 
das Desinfektionswesen regeln, im Benehmen mit dem beamteten Arzte Des- 
infektionsordnungen zu erlassen; diese bedürfen der Genehmigung des 
Regierungspräsidenten. 
Abgesehen von der Wäsche, Kleidung, den persönlichen Gebrauchsgegen- 
ständen und (außer bei Körnerkrankheit) dem Wohnzimmer des Kranken sind bei 
der Desinfektion besonders zu berücksichtigen: 
der Nasen- und Rachenschleim, sowie die Gurgelwässer bei Diphtherie, 
Genickstarre, Lungen- und Kehlkopftuberkulose und Scharlach, 
die Stuhlentleerungen bei Ruhr und Typhus, 
der Harn bei Typhus, 
die eitrigen Absonderungen und Verbandmittel bei Kindbettfieber, Milz- 
brand und Rotz. 
Es ist regelmäßig anzuordnen und sorgfältig darüber zu wachen, daß nicht 
nur nach der Genesung oder dem Tode des Erkrankten eine sogenannte Schluß- 
desinfektion stattfindet, sondern daß während der ganzen Dauer der Krankheit 
die Vorschriften der Desinfektionsanweisung über die Ausführung der Des- 
infektion am Krankenbett peinlich befolgt werden. Es ist Aufgabe der 
Polizeibehörde und der beamteten Arzte, die Bevölkerung hierauf bei jeder sich 
darbietenden Gelegenheit hinzuweisen. 
Die angeordneten Desinfektionsmaßnahmen sind, soweit tunlich, durch staat- 
lich geprüfte und amtlich bestellte Desinfektoren auszuführen, jedenfalls aber 
durch derartige sachverständige Personen zu überwachen. 
XII Für die Aufbewahrung, Einsargung, Beförderung und 
Bestattung der Leichen von Personen, welche an Diphtherie, Ruhr, Schar- 
lach, Typhus, Milzbrand oder Rotz gestorben sind, können besondere Vorsichts- 
maßregeln angeordnet werden ($ 21 des Reichsgesetzes). 
Als solche kommen in Betracht: 
Einhüllen der Leichen in Tücher, welche mit einer desinfizierenden Flüssig- 
keit getränkt sind, baldige Einsargung, Füllung des Sargbodens mit einem auf- 
saugenden Stoffe, baldige Schließung des Sarges, Überführung des Sarges in ein 
Leichenhaus oder einen anderen geeigneten Absonderungsraum, Verbot der Aus- 
stellung der Leiche im Sterbehause oder im offenen Sarge, Beschränkung des 
Leichengefolges, Verbot der Leichenschmäuse, baldige Bestattung, Befolgung der 
Desinfektionsmaßregeln seitens der Leichenträger.
	        
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