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sehr schwer verlaufende Erkrankungen, welche mit heftigem Schwindel-
gefühl, Muskellähmungen am Auge, Schlund, Kehlkopf u. s. w. einher-
gehen und augenscheinlich durch Gifte entstehen, die in dem be-
treffenden Nahrungsmittel durch Fäulnisbakterien erzeugt worden sind.
Derartige Erkrankungen können nicht zu den übertragbaren Krank-
heiten gerechnet werden. Neben ihnen entstehen zuweilen gleichfalls
kurz nach dem Genuß von Nahrungsmitteln Erkrankungen, welche mit
Erbrechen, Durchfall, Fieber und allgemeiner Schwäche einhergehen
und, wie zahlreiche Untersuchungen von Bacman, v. Drigalski,
Dhont, van Ermenghem, Fischer, Gärtner, Gaffky,
Kaensche, Karlinski, Pack, Poels, Vagedes u.a. ergeben
haben, durch wohlcharakterisierte Bakterien erzeugt werden. Häufig
handelt es sich dabei um das Fleisch erkrankt gewesener und not-
geschlachteter Tiere. Die große Giftigkeit der betreffenden Bakterien
für Versuchstiere spricht für die Pathogenität der Bakterien und recht-
fertigt die Auffassung derartiger Erkrankungen als Infektionskrank-
heit, deren scharfe Umgrenzung und endgültige Beschreibung allerdings
noch der Folgezeit vorbehalten geblieben ist.
Außerhalb Preußens besteht in Deutschland die Anzeigepflicht für
Fleisch-, Fisch- und Wurstvergiftung nur noch in Braunschweig.
3. In früheren Seuchengesetzen vermißt wird ferner die über-
tragbare Genickstarre, die Meningitis cerebrospinaliıs
epidemica, welche in jüngster Zeit nicht nur in Deutschland in
Form schwerer Epidemien aufgetreten und namentlich für die Kinder-
welt außerordentlich gefährlich ist, in früheren Jahrhunderten dagegen
so gut wie unbekannt war oder nur in sporadischen Fällen vorkam.
Ihre Übertragbarkeit wurde daher vielfach bezweifelt, weil sie nur
ausnahmsweise in einer Familie in mehreren Fällen auftrat, und sichere
Fälle von Ansteckung nur ausnahmsweise vorkamen. Seit jedoch
Weichselbaum in dem Diplococcus intracellularis den Erreger der
Krankheit entdeckt, seit man die Wege, auf welchen er sich ver-
breitet, gezeigt und zweckmäßige Desinfektionsmethoden gefunden hat,
kann man mit sanitätspolizeilichen Maßregeln gegen die Krankheit
vorgehen, deren Vorbedingung die Einführung der Anzeigepflicht ist.
Während der Ausarbeitung und Beratung des preußischen Seuchen-
gesetzes ist die Genickstarre in Preußen in einer bis dahin unbekannt
gewesenen Verbreitung aufgetreten und hat im Jahre 1905 über
4000 Erkrankungen mit einer Sterblichkeit von nahezu 70 Prozent
erzeugt und dadurch den Beweis für dıe Einführung energischer
Schutzmaßregeln gegen die Krankheit erbracht.
Hieraus erklärt es sich auch, daß in neuerer Zeit auch außerhalb
Preußens die Anzeigepflicht für die Genickstarre eingeführt worden
ist, und zwar unbedingt in Bayern, Sachsen, Mecklenburg-