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3. Was die Röteln betrifft, so ist diese Krankheit so harmlos
und verläuft in der Mehrzahl der Fälle so leicht, daß man bei ihr
auf sanitätspolizeiliche Maßregeln verzichten kann. Sie sind in den
alten Seuchengesetzen aufgeführt, weil sie unter Umständen mit Masern
verwechselt werden, und weil man befürchtete, die Anzeige von Masern-
fällen könnte unterlassen werden unter dem Vorwande, man habe die
Krankheit für Röteln gehalten.
Ebenso wie in Preußen besteht auch in der Mehrzahl der übrigen
Bundesstaaten keine Anzeigepflicht für Röteln, eine beschränkte besteht
in den Staaten Mecklenburg-Strelitz, Sachsen-Weimar,
Sachsen-Meiningen, Schwarzburg-Rudolstadt, Wal-
deck und Lippe.
4. Für die Syphilis schrieb das Regulativ von 1835 nur eine
beschränkte Anzeigepflicht vor, „wenn nach Ermessen des Arztes von
der Verschweigung der Krankheit nachteilige Folgen für den Kranken
selbst oder für das Gemeinwesen zu befürchten sind“. Eine solche
beschränkte Anzeigepflicht hat aber große Bedenken. Sie ist nach
dem Regulativ in das Ermessen des Arztes gestellt und von Be-
dingungen abhängig gemacht, deren Vorhandensein oder Fehlen der
Arzt in vielen Fällen gar nicht beurteilen kann. Infolgedessen haben
die Ärzte diese Pflicht kaum jemals erfüllt. Das Gleiche gilt von der
Verpflichtung, welche $ 65 Abs. 3 des Regulativs den Zivilärzten auf-
erlegte, syphilitisch kranke Soldaten, welche sie behandeln, dem Kom-
mandeur des betreffenden Truppenteiles oder dem dabei angestellten
Oberarzt anzuzeigen.
Bei der Ausarbeitung des Entwurfes zu dem preufischen Seuchen-
gesetze wurde zunächst wieder eine beschränkte Anzeigepflicht auf-
genommen. Nach ihr sollte die Krankheit — und dasselbe wurde
für Schanker und Tripper vorgeschlagen — nur bei Personen
anzeigepflichtig sein, welche gewerbsmäßig Unzucht treiben; auch
wurde die oben erwähnte Verpflichtung für Zivilärzte, Erkrankungen
von Soldaten dem Truppenteil anzuzeigen, in den Entwurf übernommen.
Bei der Beratung des Entwurfes im Landtage wurden jedoch beide
Bestimmungen fallen gelassen, und es wurde von der Einführung jeder
Anzeigepflicht für Schanker, Syphilis und Tripper abgesehen. Die
namentlich von hervorragenden Syphilidologen vertretenen Gründe da-
für waren die Befürchtung, durch die Anzeigepflicht für diese so
delikaten Leiden die Erkrankten vom Arzte fernzuhalten und in die
Hände von Kurpfuschern zu treiben, und die Hoffnung, daß es durch
Gewährung leicht zugänglicher, geeignetenfalls kostenloser Behandlung
gelingen werde, die von der gewerbsmäfßigen Unzucht lebenden Pro-
stitulerten auch ohne Einführung einer Anzeigepflicht für die Gesellschaft.
ungefährlich zu machen.