Full text: Die gesetzlichen Grundlagen der Seuchenbekämpfung im Deutschen Reiche unter besonderer Berücksichtigung Preußens.

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übertragbare anzuzeigen, ohne daß sie eine solche ist, als einen wirk- 
lichen Fall einer übertragbaren Krankheit zu spät oder gar nicht an- 
zuzeigen. 
Bei der Ausarbeitung des preußischen Seuchengesetzes wurde auch 
ernstlich geprüft, bei welchen Krankheiten eine Anzeigepflicht für 
Verdachtsfälle eingeführt werden müsse. Man hielt dies nur bei den 
schwersten übertragbaren Krankheiten für erforderlich und sah als 
solche Kindbettfieber, Rotz, Rückfallieber und Typhus an. Bei der 
Beratung im Herrenhause wurde aus dem Hause heraus (Graf Oppers- 
dorf) beantragt, auch bei Genickstarre eine Anzeigepflicht für Verdachts- 
fälle einzuführen. Die Begründung zu dem Gesetzentwurf sprach sich 
folgendermaßen aus: 
„Wie schon früher ausgeführt ist, erzeugt der Typhus bei uns 
fast jedes Jahr mehr oder weniger heftige Epidemien, welche der Ge- 
sundheit und dem Vermögen der Bevölkerung schwere Schädigungen 
zufügen. Bei der genaueren Erforschung dieser Epidemien hat sich 
nachweisen lassen, daß sie ihren Anfang fast stets von leichten Typhus- 
fällen genommen haben, welche den Behörden unbekannt geblieben 
waren, da sie wegen ihrer Leichtigkeit nicht als Typhus erkannt 
bezw. überhaupt nicht angezeigt worden sind. Es gibt eine beträcht- 
liche Anzahl von Typhusfällen, die so leicht verlaufen, daß die Kran- 
ken sich zwar matt und unpäßlich fühlen, wohl etwas über Kopf- 
schmerz, Frösteln, Mangel an Appetit und leichten Durchfall klagen, 
im übrigen aber fast während der ganzen Dauer der Krankheit außer 
Bett bleiben und vielfach auch nicht behindert sind, ihrer gewohnten 
Beschäftigung nachzugehen. Diese sogenannten ‚ambulanten‘ ‘Typhen 
begünstigen die Verbreitung der Seuche in viel höherem Grade, als 
die schweren Erkrankungen. Die Leichtkranken, sogenannte „Bazillen- 
träger’, welche frei umhergehen, aber auch wie Schwerkranke, wenn 
auch nicht in gleichem Maße, an Durchfällen leiden, können die in 
den Stuhlentleerungen und dem Harn enthaltenen Typhusbazillen und 
damit die Gefahr der Ansteckung viel leichter verbreiten, als Kranke, 
welche, an das Bett gefesselt, nur mit wenigen Menschen in Berüh- 
rung kommen. ZEinschleppungen von Typhus aus dem Auslande und 
von Ort zu Ort kommen meistens gerade durch solche ambulante 
Typhuskranke zu stande, in derselben Weise, wie es bei der Cholera 
der Fall zu sein pflegt. 
„Aber nicht nur solche leichten Fälle entziehen sich der Kenntnis 
der Behörden, sondern nicht selten werden auch ausgesprochene 
Typhusfälle gar nicht oder erst nach mehrwöchiger Dauer zur Anzeige 
gebracht. Das hat vorwiegend seinen Grund darin, daß die für die 
Typhuserkrankung charakteristischen Erscheinungen nicht gleich ım 
Anfange deutlich erkennbar hervortreten, daß sie allmählich und suc- 
cessiv sich entwickeln und einige von ihnen in manchen Fällen über- 
haupt nicht zur Beobachtung gelangen. Vorsichtige Arzte pflegen 
eine Erkrankung erst dann als Typhus zu erklären, wenn sie alle 
Symptome der Krankheit beobachtet haben, bis dahin aber, zur Ver-
	        
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