Full text: Die gesetzlichen Grundlagen der Seuchenbekämpfung im Deutschen Reiche unter besonderer Berücksichtigung Preußens.

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durch seinen Doktoreid und sein Pflichtgefühl gehalten, die gesetz- 
lichen Bestimmungen über die Anzeigepflicht gewissenhaft zu be- 
obachten. 
Was ist nun unter dem zugezogenen Arzt zu verstehen? In den 
Seuchengesetzen ist sonst überall von dem behandelnden Arzt 
die Rede. Wenn hier ein anderer Ausdruck gewählt ist, so hat dies 
darin seinen Grund, daß viele Personen, namentlich auf dem Lande, 
einen Arzt selbst bei ernsten Erkrankungen nur ein einziges Mal zu- 
ziehen, so daß dieser, selbst wenn er die Diagnose gestellt und den 
Heilplan angegeben hat, Bedenken tragen mul, sich als behandelnden 
Arzt anzusehen. Wenn ein Arzt, der zu dem Kranken nur ein einziges 
Mal zugezogen wird, auch Bedenken trägt, die polizeiliche Anzeige des 
Falles zu erstatten, weil er vielleicht über die Diagnose noch Zweifel 
hegt, so ist das verständlich. Allein für die Polizei ist er auch in 
diesem Falle die zur Beurteilung des Falles berufenste Person, und 
deswegen legt das Gesetz die Anzeigepflicht nicht dem „behandeln- 
den“, sondern dem „zugezogenen“ Arzte auf. 
Für die Arzte ergibt sich aus dieser Bestimmung die Verpflichtung, 
sich jedesmal, wenn sie bei einem Kranken eine übertragbare Krank- 
heit vermuten oder feststellen, Gewißheit darüber zu verschaffen, ob 
sie der erste Arzt sind, der den Kranken sieht, und ob der Fall be- 
reits polizeilich angezeigt Ist. 
Für gewöhnlich versteht man unter einem zugezogenen Arzt einen 
solchen, der von dem behandelnden Arzt wegen seiner wissenschaft- 
lichen Bedeutung zu einer Konsultation am Krankenbett hinzugezogen 
wird. In diesem Sinne ist hier das Wort „zugezogen“ nicht zu ver- 
stehen. Einem Konsiliarius liegt nach dem Gesetz eine Anzeigepflicht 
nıcht ob, er kann sie getrost dem behandelnden Arzt überlassen. 
2. In Fällen, zu denen ein Arzt nicht zugezogen ist, ist die 
Anzeigepflicht dem Haushaltungsvorstande, als dem zunächst Be- 
teiligten, auferlegt worden. Unter Haushaltungsvorstand ist in Familien 
der Ehemann oder, falls er verreist, selbst erkrankt oder verstorben 
ist, die Hausfrau oder, falls auch sie nicht zur Stelle, erkrankt oder 
verstorben, und ein Stellvertreter nicht vorhanden ist, das älteste 
geschäftsfähige Kind zu verstehen. Bilden mehrere Geschwister oder 
Freunde einen gemeinsamen Haushalt, so wird einer von ihnen als 
Haushaltungsvorstand anzusehen sein. Alleinstehende Personen, welche 
einen selbständigen Haushalt führen, sind selbst als Haushaltungs- 
vorstand zu betrachten. 
3. Ist ein Haushaltungsvorstand nicht vorhanden oder an der 
Erfüllung der Anzeigepflicht, z. B. durch eigene Erkrankung, ver- 
hindert, fehlt es auch an einem geschäftsfähigen Stellvertreter, so
	        
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