408 74. Des Kurfürsten und Königs Max I. Joseph innere und äußere Politik.
Ein Akt der Notwehr gegen den übermächtigen und drohenden Nachbar
war das Bündnis des Hauses Wittelsbach mit Bonaparte gewesen. Von
einem „Verrat an Deutschland“ konnte damals nicht die Rede sein, denn es
gab kein Deutschland mehr. In der allgemeinen Verrottung und Versumpfung
der europäischen Politik hatte die Erscheinung des Helden wohltätig wie ein
Gewitter gewirkt. Aber der Kaiser hielt nicht, was das Programm des Konsuls
versprochen. Er wollte Vorsehung der Menschheit sein und wurde ihre Geißel.
Max Joseph sah sich und sein Volk durch den Übermütigen auf abschüssige
Bahn gedrängt, sah zwischen seinem ältesten Sohne und Napoleon unheilbare
Entfremdung, hörte den Sehnsuchtsruf der deutschen Stämme nach Versöhnung,
Einigkeit, Verbrüderung. Er mußte zum Abfall sich entschließen.
« Der russische Kaiser tat gegen Bayern die ersten vertraulichen Schritte,
Ssterreich führte die Verhandlungen weiter. Mit den Vorstellungen der Diplomatie
und den besorgten Außerungen Marschall Wredes vereinigte der patriotische
Kronprinz seine feurigen Bitten.
Der Vertrag von Ried (8. Oktober), durch Wredes Bemühungen zustande
gebracht, bezeichnete den Politikwechsel des Wittelsbachischen Hau-
ses, die Rückkehr des ersten und mächtigsten Fürsten des Rheinbundes zur
deutschen Sache. Zwar kämpften die Bayern nicht in der großen Leipziger
Schlacht mit, aber durch den Tag von Hanau traten auch sie ein in die
Waffenbrüderschaft zur Befreiung der deutschen Heimat.
Schon im nächsten Jahre wehten die Fahnen der Verbündeten auf franzö-
sischem Boden. In den Kämpfen, durch welche Napoleon den überlegenen
Feind vom Wege nach Paris abzulenken versuchte, leisteten die bayerischen
Truppen treffliche Dienste. Die bayerischen Reiterbrigaden zwangen bei Brienne
die sieggewohnte Kaisergarde und den Kaiser zur Flucht; das 10. bayerische
Infanterieregiment erstürmte Bar an der Aube; das ganze Korps Wrede nahm
an den blutigen Kämpfen um Arcis rühmlichsten Anteil. Durch Kühnheit
im Angriff und Verwegenheit in der Verfolgung tat sich namentlich der acht-
zehnjährige zweite Sohn des Königs, Prinz Karl, hervor.
Durch die Bayern im Rücken gesichert vollbrachte die Hauptmasse der
Verbündeten glücklich den Marsch auf Paris und zog am 31. Mai 1814 mit
klingendem Spiel dort ein; am folgenden Tage grüßten auch die bayerischen
Truppen das Wahrzeichen der überwundenen Weltstadt, die Türme von
Notredame.
*
Endlich, nach der gänzlichen Niederwerfung Napoleons, durfte Max
Joseph voll und ganz das sein, wozu ihn seine natürlichen Anlagen bestimmten:
ein Friedensfürst, seinem Volke ein immer und überall hilfsbereiter, großher-
ziger Freund. Für die schweren Prüfungen von fast zwei Jahrzehnten sah er
sich schließlich doch reich entschädigt als Herr über ein Gebiet von mehr als
1300 Quadratmeilen mit einer Bevölkerung von vier Millionen Seelen. Die