83. Gedanken Jean Pauls über seine Zeit. 431
weitblickender Fürst die Forderungen der Zeit versteht. „Jetzo muß zugleich
in Kürze und auf lange hinaus gebaut werden; der Anspannung folgt Ab-
spannung, dem Bewußtsein der Opfer Hoffnung reicher Entschädigung und
dem Ausruhen eine schlimmere Mattigkeit, als die des Anstrengens ist.
Für das Volk ist genug und gut geschrieben worden, aber wenig für Fürsten
und Große, was freilich ebenso schwierig als verdrießlich ist.“ Was er von
diesen verlangt, deutet er vorerst nur bildlich an: „Nach der gewaltigen,
alle Thronhöhen überwogenden Blutfündflut des Jahrhunderts wölbet über
Europa einen Regenbogen des Friedens!“ Deutlicher spricht er sich in den
Fastenpredigten aus: „Wir sind erst der bittern Vergangenheit los, aber der
fruchttragenden, süßreisen Zukunft noch nicht Herr.“ Besonders in dem Ab-
schnitt „Nutzamwendung der Zeit“ entwickelt er seine Zukunftsgedanken: „Eine
Höhenzeit stand sonnenwarm über Griechenland nach dem Siege über Terxes:
in ihr sprangen alle alten Blüten auf und alle jungen Früchte reiften. Eine
solche Zeit arbeitet jetzo in Deutschland nach dem Siege über den neuesten Terxes
und zwar in Deutschland am meisten; denn nur dieses litt am längsten und
härtesten und nur in ihm wurden Länder und Jahrhunderte mit Kanonen-
rädern umgeackert. Glaubt ihr, daß das Volk unten, das in der Feuers-
brunst des Krieges aus Not und Rache mit einer Verdoppelung von Kräften
Riesenlasten bewegte und Rettwunder verrichtete, jetzo im Frieden die An-
spannung werde wiederholen anstatt nachlassen wollen? Im Volke muß
öffentlicher Geist, großer Gemeinsinn erst gebildet werden und zwar dadurch,
daß man ihn befriedigt; und wie man alles Höchste erst durch das Besitzen
erkennt und Gutes tun muß um es recht zu lieben, so muß das Volk höhere
Güter freier Regierung umsonst bekommen um ihrer nachher würdig zu werden.
So wird das Volk seine Verfassung, nicht bloß den persönlichen Fürsten lieben.
Das Volk, das euch künftig umgibt, kein erniedrigtes, sondern ein aufgerichtetes,
ihr Fürsten und ihr Staatenlenker, nur dieses malt euch groß in der Geschichte,
aber nicht schimmernde Siege mit dem Schwerte oder Ländergewinste mit
der Feder. Den Fürsten stehen nun zum mächtigsten, heiligsten Einwirken
die Kräfte einer von der Zeit beseelten Jugend zu Gebote. Den Fürsten
stehen außer diesen Feuergeistern noch die Lichtgeister der Zeit zur Seite, eine
Cincinnatusgesellschaft hochgesinnter Schriftsteller in allen deutschen Kreisen
und in allen wissenschaftlichen Fächern; gleichsam Uhren in einer großen
Stadt, welche alle ineinanderschlagend zwar das Zählen erschweren, aber doch
alle eine Stunde ansagen.“ Also „können Fürsten mit keinem Mangel an
treuen, warmen Gehilfen oder an fremder Vorbearbeitung sich entschuldigen,
ja nicht einmal mit einem Mangel an fürstlichen Mustern und Vorgängern
selber, wenn sie im Besitze solcher Hände, Herzen und Köpfe den ewigen Ruhm
versäumen, ein schöneres Deutschland zu pflanzen, als das halbverwelkte, halb-
gemähte gewesen. Bedenkt noch, ihr gekrönten und besternten Machthaber
aller Art: ihr tragt in der Zukunft entweder alle Schuld oder allen Glanz.“