432 84. Ludwig I. und Goethe.
Mit den Fastenpredigten hat Jean Paul als politischer Schriftsteller seinen
Höhepunkt erreicht. Wenn er von da ab noch zuweilen über die deutschen
Verhältnisse spricht, so geschieht es nicht mehr so ausführlich und mit solcher
Begeisterung; man hört aus manchen Zeilen schon wieder den Satiriker heraus.
In den „Saturnalien“ 1818 faßt er nochmals einige Wünsche zusammen im
Gegensatz zu denen, „welche durch Polizeidiener gern ein korrektes Universum
hätten:" „Fürst und Adel sollen nicht auf das göttliche Ebenbild des
Menschen mit Füßen treten, gegen das Feuerwerk des Witzes sollen
Zensur und Polizei keine Feuertrommeln rühren und keine Lärmkanonen richten
gegen Raketen;“ es solle „keine halbe und keine beschränkte Preßfreiheit geben,
sondern eine ganze;“ es solle „überall Landstände geben;" „Weimar, das aus
einem Parnasse der deutschen Musen zu einem Sinai der Verfassungen geworden,
soll die deutsche Keblah sein."“
So leuchtet aus den Werken Jean Pauls, mag er in strafendem Spott,
in warnender Sorge oder in freudiger Begeisterung schreiben, ein echt deutscher
Sinn. Die Grundbedingungen für das Blühen und Gedeihen des Vaterlandes
sind ihm treffliche Fürsten, eine freie Verfassung und allgemeine Bildung,
„Einsichten des Volkes;“ denn „in der Geschichte hat wie in der Göttergeschichte
Minerva am meisten die Götter gegen die Giganten beschirmt.“
84. Zudwig l. und Goethe.
Von Thomas Stettner.“
Was ein ieder unserer beiden Dichterfürsten ihm sei, hat König Ludwig I.
in den knappen Worten eines Epigramms ausgesprochen:
„Wenn ich erwache, bevor ich betrete den Kreis der Geschäfte,
Less ich in Schiller sogleich, daß mich's erhebe am Tag;
Aber nach geendigtem Lärmen, in nächtlicher Stille,
Flücht ich zu Goethe und träum' fort dann den lieblichen Traum.“
Man kann kaum treffender die Verschiedenheit dessen, was ein jeder von
ihnen uns geben kann, bezeichnen: der feurige, vorwärts drängende Schiller
soll uns begeistern zur Arbeit des Tages; überschauen wir aber in des Abends
Stille prüfend die abgelaufenen Stunden und unser Wirken in ihnen, dann
wird Goethe in seiner abgeklärten Ruhe unsere beste Gesellschaft sein.
In seiner dichterischen Eigenart stand Schiller dem Könige näher, mit
Goethe aber verband ihn neben der höchsten Bewunderung mannigfache Über-
einstimmung in Neigungen und in der Auffassung des tätigen Lebens: beide
liebten Italien als das Land der Sehnsucht, beide erblickten in der antiken
Kunst die Höhe und deshalb die bleibende Norm künstlerischen Schaffens und
auch in den Fragen des politischen Lebens standen sich ihre Ansichten nahe.
Goethe aber verehrte in König Ludwig den mächtigen Beschützer und Förderer
der Wissenschaften und Künste, der im großen zur Tat machte, was er selbst