94. Ludwig I. und die Kunststadt München. 469
94. Ludwig l. und die Kunststadt München.
Von Siegmund von Riezler.)
Mit Ludwig I. bestieg den Thron Bayerns eine ganz eigenartige, scharf
ausgeprägte Individnalität, ein Fürst von so hervorragender Begabung, wie
Bayern seit dem Kurfürsten Maximilian I. wohl keinen gehabt hatte, und von
einer Art der Begabung, wie sie unter den Wittelsbachern noch nie aufgetreten
war. Der Kern seines Wesens war Schwung, eine stets jugendfrische, un-
begrenzte Eindrucksfähigkeit, Begeisterung für das Schöne und Große.
Kronerbe und Träger der Krone brauchte er nur seinem Genius zu
folgen und sich auszuleben um der Erzieher seines Volkes und ein Bahn-
brecher für die bildenden Künste in Deutschland zu werden. Eine Vorbedingung
seiner großen Leistungen war aber auch, daß er eine Eigenschaft besaß, die
man bei schwungvollen Naturen selten findet: haushälterischen Sinn und
Spartalent. Indem Ludwig sein Volk in die Bahnen der Kunstpflege wies,
hat er schlummernde Kräfte der Volksseele geweckt, ist er der Begründer der
modernen Kunststadt und hierdurch der Großstadt München geworden. Ein
Cornelius hätte seine Eigenart nie voll entfalten können, hätte ihm nicht der
königliche Mäcenas monumentale Aufgaben gestellt, und München wäre nicht,
was es heute ist, wäre nicht durch seine Kunstsammlungen und sein frisch auf-
blühendes Kunstleben der Fremdenstrom hingelenkt worden. Wie richtig man
jetzt bemerkt, daß München als Kunstmarkt zurückgehen wird, wenn nicht eine
blühende Industrie den Reichtum in seiner Bevölkerung mehrt, so richtig ist
es, daß erst in der Kunststadt Müunchen allmählich auch Industrie, Handel und
Volkszahl heranwuchsen.
Gleich Nürnberg, Augsburg, Würzburg hatte ja München schon seit
dem 16. Jahrhundert und länger eine nicht zu unterschätzende Kunsttradition.
Aber die napoleonische Periode, auf lange die letzte, die ihren eigenen, wenn
auch frostigen Kunststil erzeugte, war die ärmste an Kunstsinn gewesen. Unter
Max Joseph ist (1808) die Akademie der Künste gegründet, ist die Düsseldorfer
Galerie nach abenteuerlichen Irrfahrten mit den älteren Münchener Beständen
vereinigt worden. Aber welchen Einblick in den vorherrschenden Mangel an
Kunstsinn gewährt uns der damals erfolgte Abbruch des berühmten Kaiser-
saales in der Residenz, des Schönsten, was München an Innenarchitektur
besaß! Der Einsicht und Begeisterung König Ludwigs I. verdanken wir es
nun, daß das Bayerland und seine Hauptstadt zu Trägern einer besonderen,
den Anlagen und Neigungen seiner Stämme am meisten zusagenden Kultur-
mission erhoben und der deutschen Kunst in München ein bleibender Mittel-
punkt begründet wurde.
1) „Das glüchlichste Jahrhundert bayerischer Geschichte“, 1806—1906, S. 24—28.
München 1906, O. Beck