472 96. Vor fünfundzwanzig Jahren.
empor; aus seiner letzten Wohnung sah er auf Palmen und auf das Meer,
wieder auf Sinnbilder der Unvergänglichkeit!
25 Jahre sind seit seinem Tode vergangen. Eine Spanne Zeit! Doch
erwägen wir die Fülle von Ereignissen, die Umwälzungen im Schicksal der
Völker, im Staatsleben, in Kunst und Wissenschaft, die erstaunlichen Wand-
lungen der öffentlichen Meinungen gerade innerhalb dieser Spanne! Nichts
beweist die Eigenart, Kraft und Wirkung König Ludwigs I. deutlicher als die
Tatsache, daß sein Andenken alle diese Stürme überdauert hat.
Eine neue Zeit brach an, ein anderes Geschlecht erstand, doch er ist
für sie kein Fremdling, kein Schatten; die Gegenwart hat hellere Augen und
wärmere Dankbarkeit für ihn als seine Zeitgenossen! Wie glänzend gab sich
dies kund, als das Zentenarium seiner Geburt gefeiert wurde! Erinnern wir
uns an die Farbenpracht, an die einmütige Begeisterung jener Münchener
Tage! Wie kein Haus ungeschmückt blieb: wie am Vorabend, von tausend
Feuergarben beleuchtet, Bavaria den Kranz zu den Sternen hob; erinnern
wir uns an die Huldigung ohne gleichen, auf welche das Standbild des
Königs niedersah, an den endlosen Pilgerzug zu seinem schlichten Grabe.
Wohl hatte München vor allen anderen bayerischen Städten Ursache
das Zentenarium mit königlicher Pracht zu feiern, denn glorreich eingelöst
wurde das Wort, das er kühn als Jüngling sprach: „Ich will aus München
eine Stadt machen, die Deutschland so zur Ehre gereichen soll, daß keiner
Deutschland kennt, wenn er nicht München gesehen hat!“
Doch das ganze bayerische Volk hat den Fürsten zu verehren, der, mit
einer Künstlerseele begabt, das Gemeinwohl dennoch über den Dienst der
Schönheit stellte. Sehr hoch hielt er seine Fürstenrechte, doch hat er jemals
seine Fürstenpflicht vergessen? Bei aller Freude an der Kunst, bei allen
Taten und Opfern für die Kunst verlor er nie den Sinn für das Nützliche.
Er war voll Schwung, doch ohne Überschwang, zugleich ein Künstler und
ein Hausvater und guter Rechenmeister-
Aber auch an der Elbe und an der Spree hat man alle Ursache des
Verstorbenen, dennoch Unsterblichen, dankbar zu gedenken. Denn was Ludwig
für das Wiedererwachen deutscher Kunst getan, war Licht und Wärme für
tausend Aste, von unschätzbarem Werte für die geistige Entwicklung des ganzen
deutschen Volkes.
Auch nach seiner Thronentsagung fuhr er fort für gemeinnützige Zwecke
zu arbeiten, zu opfern, zu gründen und zu bauen. Streng hielt er sein Wort,
das er sich und dem Sohne gegeben, die Regierung nicht zu beeinflussen; er
ließ die Hand von aller Politik, widerstand allen Versuchungen zu einem
Griff in die Zügel. Oft sicherlich nicht ohne schweren Kampf, obwohl er in
Briefen an Martin Wagner und andere Vertraute den Verzicht auf politische
Tätigkeit eine Erlösung nannte. Doch er unterzog sich dem schwersten aller
Gelübde, dem Verzichte auf Macht, nicht um die behagliche Ruhe und den