482 102. König Maximilian II. von Bayern.
Die Türme ragen hell empor, Dir aber ward die Märe klar,
Die Rhühlen Brunnen springen, Ihr Schlüssel ist gewonnen:
Die Luft durchzieht's wie Harfenton, 1 Ein Schatz, der lang versunken lag,
Und Lied und Sage klingen. Stieg hier ans Licht der Sonnen!
102. König Maximilian II. von Bayern.
Aus der Erinnerung gezeichnet von Wilhelm Heinrich Riehl 7.
König Maximilian II. von Bayern hatte in seinem ganzen Wesen wenig
Leidenschaftliches, aber eine Leidenschaft erfüllte ihn, welche bei Fürsten selten
sein mag: die Leidenschaft zu lernen.
Er erzählte gerne von seiner Göttinger Studentenzeit und versicherte,
daß er ein echter und ganzer Student und nicht bloß ein „studierender Kron-
prinz“ gewesen sei, daß er jeden Tag pflichtgemäß mit der Mappe unterm
Arm ins Kolleg gegangen und seine Hefte so sorgsam ausgearbeitet und studiert
habe wie irgend einer.
Besonders tiefgreifend hatten damals Heerens Vorträge auf ihn gewirkt,
und er bewahrte diesem Gelehrten durchs ganze Leben das treueste Andenken.
Auch seinen philosophischen Lehrer Schelling hielt er allezeit in höchsten Ehren.
„Schelling der große Philosoph“, so ließ er auf den Sockel des Denkmals
schreiben, welches er ihm in München errichtete. Ein dritter Meister und
Lehrer des Kronprinzen war Leopold Ranke, der sich trotz vorschreitenden
Alters auf der Höhe seines Wirkens hielt. Erschien ein neues Werk von Ranke,
so mußte es alsbald und von Anfang bis zum Ende gelesen werden, auch wenn
die Zeit des Königs gerade knapp bemessen war oder der Inhalt des Buches
seinen Studien fern lag. Er wollte den Arbeiter ehren, indem er mitarbeitete,
den Meister, indem er von ihm lernte. Dies war sein oft ausgesprochener
und betätigter Grundsatz.
In dem letzten Lebensabschnitte des Königs ist diese Ehre des Mitarbeitens
und Lernens wohl keinem unmittelbarer zuteil geworden als Liebig. Poesie,
Philosophie und Geschichte hatten dem Könige seit den Jünglingsjahren nahe
gelegen, auf ihrem Gebicte fühlte er sich heimisch; die Naturwissenschaft, nament-
lich nach ihrer exakten Methode, stand ihm fern. Allein er ahnte die umbildende
theoretische Macht dieser modernen Wissensgruppe und erkannte wohl noch
klarer ihren praktischen Einfluß auf das ganze Volksleben. Darum berief er
nicht nur den berühmtesten deutschen Forscher an die Münchener Hochschule,
sondern er zog ihn auch persönlich in seine Nähe um einige Anschauung der
neuen und fremden Disziplin zu gewinnen und genügendes Verständnis ihrer
Anwendung auf die Bedürfnisse des Lebens. Die naturwissenschaftlichen Ge-
spräche und Vorträge in dem gelehrten Freundeskreise des Königs, woran
1) Kulturgeschichtliche Charakterköpfe, S. 175 ff. Stuttgart 1899, Cotta'sche
Nachfolger.