102. König Maximilian II von Bayern. 483
neben Liebig später auch der Physiker Jolly, der Anatom Bischoff und andere
teilnahmen, boten für den Beobachter des Fürsten ein ganz besonderes Interesse.
Ich habe niemand gekannt, der gleich ehrlich die Lücken seines Wissens und
die Mühsal seiner Erkenntnis eingestanden hätte.
Mancher Fürst wähnt, als Prinz habe er zwar offenkundig lernen dürfen,
nach der Thronbesteigung hingegen heische es der Nimbus der Majestät, daß
er vor dritten immer nur als Wissender erscheine und also höchstens noch
heimlich nachlerne. Und vielleicht hat aus diesem Grunde manches gekrönte
Haupt niemals nachgelernt, was es ungekrönt zu lernen versäumte. Von
Maximilian II. konnte man umgekehrt sagen, daß er als König noch offener
und eifriger an seiner Fortbildung arbeitete denn als Kronprinz. Schickte er
doch sogar noch im Sommer 1854 einen Stenographen in das Kollegium eines
Münchener Professors, dessen Gegenstand ihn besonders anzog, um sich das
vollständige Heft zur Herbstlektüre nach Hohenschwangau mitzunehmen.
Der Trieb des reinen Forschers, welcher den Gelehrten macht, führte
ihn nicht zur Wissenschaft, sondern die Erkenntnis, daß universellste Bildung
dem modernen Fürsten unerläßlich sei. Er lernte aber auch keineswegs um
seiner selbst willen, sondern viel mehr noch, weil er sein Volk zum Lernen
drängen wollte. Sein großer Lebensplan war: Das bayerische Volk durch
freie Bildung höher zu heben.
Ich berühre hier eine Schranke in der Natur des Königs und will meine
ehrliche Überzeugung noch weiter aussprechen.
König Max war ein rezeptives, kein schöpferisches Talent; ein gesund
begabter, kein hochbegabter Geist. Sein Vater, der alte König Ludwig, über-
ragte ihn an sprühender, zündender Geisteskraft; er überragte den Vater —
als Charakter. Die Bildung des Vaters war originaler, autochthoner; die
Bildung des Sohnes harmonischer. Die Größe des Sohnes quoll darum nicht,
wie beim Vater, aus der Hingabe an die Inspirationen seines Genius, sondern
gegenteils aus dem steten pflichttreuen Kampfe mit sich selbst, aus der Selbst-
bezwingung, die ihn zur Leidenschaft des Lernens führte und die sich ebenso-
gut in den traulich-ernsten Unterhaltungen mit seinen Poeten und Gelehrten
aussprach wie in dem späteren Umschwunge seiner Regierungspolitik. Als die
politische Welt im Jahre 1848 sich ganz anders drehte, wie König Ludwig I.
erstrebt und erwartet hatte, da konnte dieser eigenherrische Geist nicht weiter
mitgehen und sprach: „Ich will nicht länger König sein!“ Als dagegen König
Max im Jahre 1859 eine Krisis der inneren Politik Bayerns hereinbrechen
sah, die seinem Dichten und Trachten kaum minder widerstrebte, zwang er sich
zum Frieden mit seinem Volke, er suchte politisch von vorn zu lernen und
wurde nun erst recht König.
Der König lernte aus Büchern, aber weit lieber noch im persönlichen
Umgange mit Männern der Literatur und Wissenschaft. Diesen Umgang wußte
er in ganz eigener Weise zu organisieren.
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