484 102. König Maximilian II. von Bayern.
Anfangs sprach man nur von dem „Dichterkreise“", welchen der König
allwöchentlich einmal zum Souper und Billard bei sich versammele. In der
Tat überwog von 1853—55 das poetisch-literarische Interesse. Der Mann,
welchem neben der königlichen Initiative das Verdienst der ersten Anregung
und Organisation dieser Zusammenkünfte gebührt, Dönniges, war Diplomat,
Gelehrter und Poet zumal; Geibel, der nicht bloß durch seine Verse sondern auch
durch seine Persönlichkeit die besondere Zuneigung des Königs gewann, entwarf
und leitete meist das poetische Programm des Abends, Heyse, Schack, Bodenstedt
kamen hinzu, Kobell, Pocci, Thiersch vertraten das ältere Münchener Element.
Schon um die Räume, wo wir uns versammelten, wob sich der Zauber
der Poesie. Durch seit Jahren unbenutzte Prunkzimmer eines Seitenflügels
gelangte man in ein schönes, reiches Rokokogemach aus der kurfürstlichen Zeit,
dessen Wände mit alten Historienbildern, Porträts und Landschaften, gleich einer
Gemäldegalerie, bedeckt waren; ein völlig einsamer, stiller Raum, der, wie der
Überrest eines längst verlassenen Schlosses, mitten in dem belebten modernen
Residenzschlosse geborgen lag. Hier stand der einfache Tisch mit der grünen
Lampe, um welchen wir so manchen Abend saßen, in ernste Gespräche vertieft,
oft auch erregt in stürmischer Debatte. Dem König zur Rechten saß allezeit
Liebig, zur Linken Geibel. Ein an das Zimmer unserer Tafelrunde anstoßender
kleiner Saal im style de l’empire aus der Zeit Max Josephs enthielt das
Billard, auf welchem wir nachgehends eine oder zwei Partien spielten um dann
zum Anhören eines Gedichtes und zum Abendessen noch einmal in das Rokoko-
zimmer zurückzukehren. Ein Thronhimmel an der Wand, dem aber der Thron
und die übrige ebenbürtige Ausstattung des Raumes fehlten, zeigte an, daß
dieser Billardsaal früher vornehmeren Zwecken gedient hatte. Wie der König
erzählte, war er selber hier getauft worden und er erklärte es für ein bedeutsames
Omen, daß Platen bei seiner Taufe als Page fungiert habe.
Vor allen Künsten liebte er nicht nur die Poesie zumeist, er übte sie
auch und trug sich mit dem Gedanken seine Gedichte drucken zu lassen. Als
ihm jedoch Geibel, dem er dieselben zur vorläufigen Kritik übergeben, davon
abriet, legte er sie ruhig wieder in das Pult mit jener Selbstbescheidung, welche
ihm durchweg eignete.
Es war durchaus bedeutsam, daß der König mit den Poeten anfing und
mit den gelehrten Spezialisten schloß. Der „Dichterkreis“ war die Ouvertüre,
die „Historische Kommission“ das Finale. Nur auf diesem Wege konnte der
Fürst zu seinem universellen Wirken kommen, auf dem umgekehrten wäre er
selbst im gelehrten Spezialismus stecken geblieben; für einzelne Forschungen
hätte er vielleicht mehr geleistet, für den geistigen Umschwung seines Volkes
ohne Zweifel weniger. Seit länger als einem Jahrhundert hat die deutsche
Wissenschaft immer in nächster Fühlung mit der Kunst, insbesondere mit der
Poesie gestanden, und der wissenschaftliche Geist unserer besten Dichter, der
künstlerische unserer größten Gelehrten bedingt den eigentümlichsten Glanz unserer