102. König Maximilian II. von Bayern. 487
entwarf Aufträge und nahm mündliche Berichte über den Fortgang der von
ihm angeregten Arbeiten entgegen. Dazu konnte man bei dieser Gelegenheit
auch unaufgefordert ein offenes Wort mit ihm reden. Fremde, welche sich
über die langen Spielpausen wunderten, merkten es freilich nicht, daß inzwischen
vielleicht ein weittragendes Unternehmen beredet und beschlossen worden war,
wenn der König endlich ein paar Worte in sein kleines Notizbuch schrieb oder
sich auch kurzweg einen Knopf zu mehreren bereits vorhandenen Knöpfen ins
Taschentuch machte um dann wieder unter die seiner Kugel harrenden Billard-
spieler zurückzukehren.
Ganz im Einklange mit seiner methodischen Art sah er in jedem von uns
den Vertreter eines besonderen Faches und praktischen Erfolg hatte fast allezeit
nur, was der einzelne aus dem Gebiete dieses Faches, gefragt oder ungefragt,
vorbrachte. Wohl hörte er uns mitunter auch gerne über Dinge reden, die
wir nicht gerade aus der Schublade unseres „Faches“ holten, aber das Notiz-
buch hat er dann kaum jemals hervorgezogen, ja nicht einmal das Taschen-
tuch. Was der einzelne je aus seinem Fachkreise mitteilte, das schien ihm
beachtenswert, was er etwa darüber hinaus vortrug, und wäre es auch noch
so originell und bedeutsam gewesen, flüchtige Unterhaltung. Das Symposion
als Ganzes war enzyklopädisch und der König, welcher unsere Verhandlungen
an kaum merkbaren Fäden sicher leitete, die Enzyklopädie in Person; aber
der einzelne unter uns sollte beileibe kein Enzyklopädist sein.
Außerst empfindlich wurde der König berührt, sowie er merkte, daß
irgend jemand persönliche Ziele anstrebte oder überhaupt auch sachlich einen
dominierenden Einfluß üben wollte. Seine Person vordrängen war das sicherste
Mittel um von ihm zurückgeschoben zu werden, ja selbst die beste Sache, welcher
man dabei etwa dienen wollte, zu verderben.
König Max fürchtete sich argwöhnisch vor allem Günstlingswesen. Wer
daher seine Freundschaft — ich sage absichtlich nicht seine „Gunst“ — dauernd zu
bewahren wünschte, der mußte warten, bis er gefragt wurde, dann aber ehrlich
und geradeaus antworten, gleichviel ob er angenehme oder unangenehme Wahr-
heiten zu sagen hatte; er mußte den Umgang mit dem Könige durchaus betrachten
wie den Umgang mit einem hochgeachteten Privatmanne, wobei das Vergnügen
und die gegenseitige geistige Frucht des Verkehrs das einzige Ziel ist und der
einzige Lohn. Auch der König faßte den geselligen Umgang mit seinen Freunden,
sei es an den Münchener Abenden oder auf der Jagd und Reise, durchaus im
Geiste des liebenswürdigen Wirtes auf; das bekundete seine ganze Haltung, das
bezeugten aber auch seine ausdrücklichen Worte: er ließ niemals merken, als wolle
er uns eine Gunst oder Ehre erweisen, dagegen dankte er uns um so anmutiger
für unsere Ausdauer und frische Teilnahme. Das war denn freilich die feinste
Gunst und Ehre und er hatte ein Recht zu erwarten, daß wir dieselbe mit gleichem
Zartgefühl erwiderten und uns allen vordringlichen Wesens, aller eigennützigen
Wünsche und Pläne sowohl ihm selbst gegenüber wie nach außen streng enthielten.