Full text: Lesebuch zur Geschichte Bayerns.

38 9. Der Sturz Tassilos. 
ein. In offener Versammlung wird er entwaffnet und festgenommen. Königs- 
boten eilen nach Bayern und schleppen die Gattin, die Söhne, die Töchter, 
das zahlreiche Gesinde samt dem herzoglichen Schatze nach Ingelheim. Der 
Herzog, so lautete die Anklage, habe mit den Avaren verräterische Verbin- 
dungen angeknüpft, er habe des Königs Vasallen zu verderben gesucht, er 
habe seine Untertanen ermahnt dem Frankenkönig den Treueid nur mit einem 
hinterlistigen Vorbehalt zu schwören, er habe hochverräterische Reden geführt. 
Als Ankläger bezeichnet der offizielle Berichterstatter „dem König getreue 
Bajuwaren“. Es sind zweifellos die ins fränkische Interesse gezogenen könig- 
lichen Vasallen in Bayern; die Anklage stammt also aus dem Munde der 
seit Jahren erbitterten Gegner des Herzogs. Anklage und Verfahren erregen 
die schwersten Bedenken. Nicht der Herzog erscheint als der Dränger, der 
durch sein Verhalten die Katastrophe heraufbeschwört, sondern der König, der 
den Herzog beseitigen will; die königlichen Vasallen in Bayern sind die 
Werkzeuge in fränkischen Diensten. Der Eindruck der Mache wird noch erhöht 
durch das Urteil selbst. Um verurteilen zu können, greist man zurück auf 
das Vergehen Tassilos gegen König Pippin, erinnert man sich noch zu guter 
Stunde, daß sich Tassilo vor 25 ()) Jahren gegen Pippin der Harisliz 
(Desertion) schuldig gemacht habe. Und auf Grund dieser längst verjährten 
und vergessenen Schuld wird er wegen Hochverrats zum Tode verurteilt. 
Doch die „Gnade“ des Frankenkönigs verwandelt die Todesstrafe in lebens- 
längliche Einschließung in ein Kloster. Mit Mühe ringt der unglückliche 
Herzog dem Frankenkönig die weitere Gnade ab, daß er nicht schon in Ingel- 
heim vor versammeltem Hof, sondern erst in St. Goar am Rhein zum 
Mönche geschoren wird, um dann im Kloster Jumieges (an der Mündung der 
Seine), später im Kloster Lorsch (bei Worms) interniert zu werden. Das 
gleiche Schicksal traf die Familie des Herzogs. Die Söhne wurden geschoren, 
Gemahlin und Töchter gezwungen den Schleier zu nehmen; getrennt von- 
einander endeten sie hinter der Klostermauer. Die Bayern aber — nach 
offiziellem Berichte seien es wenige gewesen — die sich nicht ruhig in die 
neue Ordnung fügen konnten, wurden „ins Elend geschickt“. 
Bayern scheint aber trotzdem nicht sobald zur Ruhe gekommen zu sein. 
Die Regensburger Verschwörung von 792 scheint unter ihren Mitgliedern auch 
altergebene Anhänger des agilolfingischen Hauses gezählt zu haben. So wird 
denn, um die Gemüter zu beruhigen und dem Verfahren von 788 den Schein 
der Gerechtigkeit zu geben, Tassilo noch einmal aus der Enge der Klosterzelle 
hervorgeholt und muß auf einer der glänzendsten Versammlungen, die unter 
Karl dem Großen gehalten wurden, auf der Reichsversammlung zu Frank- 
furt 794, um Verzeihung bitten für all das, was er unter Pippin und Karl 
gegen den König und das Volk der Franken verbrochen, und erklären, daß er 
allen Groll wegen des Geschehenen aufgebe, endlich für sich und seine Kinder 
allen Ansprüchen auf das Herzogtum endgültig entsagen. Drei Exemplare
	        
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