Full text: Lesebuch zur Geschichte Bayerns.

492 103. Eine Fußreise mit König Max IH. 
und gehoben durch die Landschaft. Und während uns früher die Menschen 
bloß Staffage waren, die Landschaft Hauptbild, wird uns späterhin die Land- 
schaft Hintergrund und das menschliche Treiben fesselt uns als Hauptgruppe. 
Darum zieht es mich jetzt aus Hohenschwangau, der einsamen Ritterburg, fast 
allzu häufig zu der modernen Villa bei Berchtesgaden, wo das bunteste Menschen- 
treiben so anmutig Tal und Matten belebt.“ 
lber solche Dinge pflegte der König sinnig nachzudenken und fein sich 
auszusprechen. — 
König Max liebte es den Cicerone zu machen, den Weg zu führen, 
versteckte Schönheiten, die er früher entdeckt, anderen zu zeigen und sich an 
ihrer Überraschung zu erfreuen. Jeder echte Wanderer hat ein Stück von 
dieser Leidenschaft des Cicerone, mag er nun Landschaften, Kunstwerken, Alter- 
tümern nachgehen oder dem gegenwärtigen Volksleben, und wir wandern darum 
jeden fesselnden Weg am liebsten zweimal: zuerst allein um selbständig zu suchen 
und zu finden und dann mit Freunden um ihnen das Gefundene wie unser 
Eigentum zu zeigen. Mehrmals sagte mir der König unterwegs, da ich in 
meinen Büchern den Wald so kräftig verteidigt habe, so wolle er mich nun 
auch selbst durch seine Wälder führen und mir ihre heimliche Pracht entdecken. 
Bei einem Nachtlager auf dem Brunnenkopf hatten wir uns abends in 
den nahen Wald zerstreut; der König war arbeitend in dem Jägerhäuschen 
zurückgeblieben, wo ihn Depeschen aus München festhielten, als plötzlich ein 
prächtiges Alpenglühen von den Tiroler Bergen in sein Fenster herüberleuchtete. 
Sofort eilte er in den Wald und suchte uns, laut rufend, im Dickicht und 
ruhte nicht, bis er uns alle beisammen hatte, um uns „sein Alpenglühen“, wie 
er's nannte, zu zeigen. Er hätte einen Bedienten nach uns schicken können, 
aber die Entdeckerfreude will sich selber mitteilen und mag keinen Bedienten. 
Anm liebsten speiste der König im Freien, an einem weittragenden Aussichts- 
punkte oder am Gestade eines Sees, unter der Linde, in tiefer Waldeinsamkeit, 
aber auch am Rande einer belebten Landstraße, gleichviel, wenn der Ort nur 
ein malerisches Bild bot. So haben wir am vorletzten Reisetage im lauschigsten 
Waldesdunkel hinter der Unkener Klamm Tafel gehalten und am letzten un- 
mittelbar neben der Reichenhall-Berchtesgadener Chaussee bei der Schwarzbach= 
wacht. Bei unserer unberechenbaren Art zu reisen hing es aber von hundert 
Zufällen ab, ob wir mittags oder abends zu dem ausgewählten schönen Punkte 
gelangten. Daher ein steter Wechsel von Hunger und Entbehrung und von 
lberfluß, der bei so vielerlei Strapazen eben doch nicht überflüssig war. Der 
König allein empfand jene Entbehrungen nicht; er aß äußerst wenig, trank 
noch weniger und hatte von dem richtigen Wanderhunger eines gesunden Fuß- 
gängers eigentlich gar keinen Begriff. Geschah es doch einmal, daß wir von 
morgens sieben bis abends sieben fuhren, ritten und stiegen ohne einen Bissen 
oder Tropfen über die Lippen zu bringen. Dafür tafelten wir dann auch 
abends hoch oben unter der obersten Felskuppe des Wendelsteins bei der
	        
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