103. Eine Fußreise mit König Max II. 495
Nach Tische besuchten wir alle Rottenhöfers improvisierte Küche, die er
sich in der Sennhütte auf einem Herde, der bis dahin nur einen großen Käs-
kessel geheizt, höchst sinnreich aufgebaut hatte. Es war ihm in der Tat gelungen
alle jene Gerichte so vollendet zu bereiten, wie nur immerhin in der Münchener
Schloßküche. Also ehrte der König auch hier den Künstler nach seiner gewohnten
Weise, nicht indem er ihn lobte, sondern indem er ihn in der Werkstatt
belauschte. — —
Es war der letzte Reisetag. Wir hatten in Unken übernachtet; der König
arbeitete einsam auf seinem Zimmer noch tief in den Vormittag hinein; unsere
ganze übrige Gesellschaft war schon frühe vorausgeritten über Reichenhall zur
Schwarzbachwacht, wo sie uns erwarten sollte. Da mich an diesem Tag die
Reihe traf im Wagen des Königs zu fahren, so war ich ganz allein bei ihm
zurückgeblieben. Wir fuhren erst spät ab. Der König war heiter, gesprächig
und doch sichtbar gemütlich tiefer bewegt; er empfand den Abschied von der
kurzen, aber reichen Zeitspanne dieses originellen Wanderlebens.
Als wir Reichenhall passiert hatten und das Viergespann etwas gemäßig-
teren Ganges unseren Wagen den langen, steilen Berg hinaufzog, begann er
vergleichend und fragend auf unsere gesamten Erlebnisse zurückzublicken. In
seiner Jugend, als Kronprinz, hatte er, nur von zwei Herren begleitet, eine
Reise durch Niederdeutschland und Holland nach England gemacht unter dem
Inkognito eines „Kaufmann Schmidt" „,Doch ist das eben“ — so etwa
sagte er — „ein Stück der großen Tour durch große und kleine Städte gewesen,
in fremdem Land; und so habe ich diesmal, wo ich als König im eigenen
Lande gewesen bin, die Freiheit des Wanderers voller genossen als auf jener
Fahrt, wo man mir nicht einmal überall den „Herrn Schmidt“ hat gelten
lassen wollen und die Maske ahnte. Ob der Fürst dem Volke inkognito
gegenübertritt, darauf kommt wenig an; wichtiger ist es, daß das Volk sein
Inkognito angesichts des offenkundigen Fürsten ablege.“ Wie er nicht mit
Unrecht glaubte, war dies oftmals auf der gegenwärtigen Reise geschehen. Und
darüber freute er sich von Herzen.
Es war damals des Königs Vorsatz, nachdem dieser erste Versuch so
schön gelungen, jedes kommende Jahr eine ähnliche Wanderfahrt durch einen
anderen Teil seines Landes zu unternehmen. Er fühlte tief die verjüngende
Kraft der innigeren Berührung mit Land und Volk. So ward fürs nächste
Jahr jetzt schon das Fichtelgebirge in Aussicht genommen. Aber im nächften
Jahre schrieb man 18591 Der italienische Krieg brach aus, die Friedensepoche
war vorüber, die beginnenden politischen Erschütterungen ergriffen das Gemüt
des Königs gewaltiger, als die meisten ahnen mochten. Er wurde ein anderer
Mann in seinen letzten fünf Lebensjahren. Der feinen poetischen und humanen
Sinn, welcher ihm den Plan zu unserer Reise eingegeben, bewahrte er bis ans
Ende; aber seine Gesundheit nahm ab und die ganze Zeit bot nicht Muße
und Stimmung dergleichen zum zweitenmal auszuführen.