11. Kloster Tegernsee. 45
und Gehöfte hervor, die an Klosterhörige gegen Reichung eines jährlichen
am St. Quirinstag fälligen Zinses verpachtet wurden. Einige vordem wilde
Bergbäche flossen jetzt zahm und gehorsam in künstlich hergestellten Rinnsalen
und waren gezwungen Mühlen zu treiben. Durch das ganze der Kultur
neu erschlossene Land zogen sich Straßen und Wege, Brücken und Stege.
Von den Höhen herunter grüßte da und dort eine Kirche oder Kapelle, er-
baut zur Ehre Gottes und jener Heiligen, unter deren Schutz die Mönche
ihre Kulturarbeiten gestellt hatten. Als Schützer solcher Kulturarbeiten aber
wurden mit Vorliebe Heilige gewählt, denen die altchristliche Kunst das Bild,
des Drachen beigegeben hat, wie St. Georg, St. Michael oder St. Mar-
garet. Der. Drache veranschaulicht Satan, den Urheber alles Bösen, aller
Unfruchtbarkeit und aller Wildnis. Dumpffeuchte Moore und finstere Wälder
galten unseren Vorfahren als Wohnstätten Satans; hier hausten der Sage
nach auch die Drachen, in deren Vernichtung der Hörnene Siegfried seine
junge Kraft stählte. Nicht zufällig finden wir darum die Kirche in Georgen-
ried bei Gmund dem heiligen Georg, die Kirche in Wald bei Finsterwald
der heiligen Margaret geweiht; beide Ortschaften und Kirchen verdanken
nämlich dem Kulturfleiß der Tegernseer Mönche ihre Entstehung. In Georgen-
ried hatten sie also gleichsam den Moordrachen, in Wald den Walddrachen
erlegt.
Zu dem so mühsam aus Moor und Urwald gewonnenen Neuland ge-
sellten sich im Laufe der Zeit Ländereien, geschenkt aus Liebe zum Kloster-
patron St. Quirinus und zwar so zahlreich, daß bereits zu Beginn des
9. Jahrhunderts Tegernsee zu jenen Abteien des fränkischen Reiches zählte,
die dem Kaiser außer Geschenken auch Kriegsdienste zu leisten hatten. Die
Kriegsbereitschaft setzt für unser Kloster ein hochentwickeltes Handwerk voraus.
Ausdrücklich erwähnt denn auch die Klosterchronik Werkstätten und namentlich
Schmiede und Drechsler. Für den tegernseeischen Salztransport aus Reichen-
hall, für den Weintransport aus Tirol war eine Brücke und Lände am Inn
von größter Wichtigkeit. Schon im Jahre 795 sehen wir die alte Römer-
siedlung Pfunzen (— pons) bei Rosenheim im Besitze des Klosters. Noch
in unseren Tagen heißt dort ein Platz die „Weinländ“; die Straße aber, die
von Rosenheim am Fuß des Irschenberg vorüber nach Tegernsee zieht, heißt
die Scheiblerstraße. Ihren Namen trägt sie von den Scheiblern, d. h. von
den Fuhrleuten, welche zu Klosters Zeiten von Reichenhall her über Pfunzen
kommend das in Scheiben gepreßte Salz nach Tegernsee führten.
Dank dem wirtschaftlichen Geschick der Quirinusmönche hatte sich bis
zum 13. Jahrhundert das tegernseeische Klostergebiet zu zehn großen Wirt-
schaftsämtern ausgegliedert. Warngau, der Hauptort des gleichnamigen
Gaues, nahm als Stapelplatz die tegernseeischen Bodenerzeugnisse auf. Was
Kloster und klösterliche Meiereien davon entbehren konnten, wanderte
zum Austausch oder Verkauf nach Holzkirchen auf den Klostermarkt.