Full text: Lesebuch zur Geschichte Bayerns.

600 125. Der Tag von Coulmiers. 
lockeren Scharen zu leidlich brauchbaren Kriegern machte, vereinigte das XV. 
und das unter General Chanzy eben gebildete XVI. Korps und zog, von 
starker Artillerie und Kavallerie begleitet, von Blois her auf dem rechten 
Loireufer gegen Orléans mit der Absicht zugleich dem Gegner den Rückzug 
abzuschneiden. 
General von der Tann, der die Stärke des Feindes nicht kannte und 
durch den Abmarsch der 22. Division geschwächt war, beschloß den Feind 
westlich von der Stadt zu empfangen, da sie selbst zur Verteidigung ungeeignet 
war. Am Morgen des 9. November mußten die Bayern vor der Mehrzahl 
und dem starken Geschübfeuer der Franzosen, die in guter Haltung heran- 
rückten, erst Baccon, dann nach langem Widerstand um 2 Uhr auch La Renar- 
dière aufgeben und sich nach dem Saume des Waldes von Montpigeau zurück- 
ziehen. Im Norden vereitelte die 2. Brigade unter General von Orff alle 
Umgehungsversuche und erstritt Vorteile, bis die Übermacht des Feindes es 
ratsam machte vom Angriff abzusehen und nur die Stellung bei St. Sigis- 
mond aufs äußerste zu verteidigen. Nachdem die 4. Brigade mehrere Gewalt- 
anstürme des Feindes auf Coulmiers kräftig zurückgewiesen hatte, wollte 
Tann nicht seine Reserve daransetzen und ließ deshalb das Gefecht um 4 Uhr 
abbrechen. In bester Ordnung, den Feind stets zurückhaltend, zog das Korps 
über Artenay nach Toury zurück, wo es stehen blieb. Die Stadt Orléans 
war bereits am Nachmittage geräumt worden, nur die Lazarette mit den Ver- 
wundeten und Kranken blieben zurück. Am Abend besetzten die Franzosen die 
Stadt aufs neue. ½ 
Dieses Treffen von Coulmiers ist das einzige größere, das die Deutschen 
in diesem Kriege verloren haben. Aber ihrer 15000 mit 90 Geschützen hatten 
71000 Feinde mit 140 Geschützen gegen sich. Mit Ruhm und ohne allzu 
große Verluste war sieben Stunden lang gestritten worden und die Franzosen 
wagten keine Verfolgung. Und wenn diese nach jeder verlorenen Schlacht 
der Auflösung anheimfielen, kamen die Deutschen nicht einen Augenblick in 
Verwirrung, obgleich manche Abteilungen seit 36 Stunden nicht geruht hatten.) 
Die Franzosen zauderten daher ihren Erfolg auszunutzen; dennoch waren sie 
1) Erst nach schweren Kämpfen bei Beaune la Rolande (28. Nov.), Ville- 
pion (1. Dez.), Loigny-Poupry (2. Dez.), Orléans (3. und 4. Dez), nachdem 
die Armee d'Aurelle de Paladines'’ auf der ganzen Linie geworfen, im Zentrum durch- 
brochen und zu exzentrischem Rückzug auf Bourges bzw. Tours genötigt worden war, 
fällt Orléans zum zweitenmal und dauernd in die Hände der Deutschen. 
*) „Der Rückzug nach einem Gesecht bleibt immer die bitterste Prüfung des 
militärischen Wertes einer Truppe, aber sie mag noch so gut bestanden werden, ein ver- 
drießlicher Moment ist es doch. Das 1. bayerische Korps hatte bis jetzt in sechs Schlachten 
und Gefechten gekämpft, ohne daß es jemals zurückweichen mußte; wir waren etwas ver- 
wöhnt und mehr erstaunt als geärgert, daß das siebente Mal der Sieg nicht gelungen. 
Wenn man sich auch wiederholt die große überlegenheit des Gegners in das Gedächtnis 
rief, gegen welche mit unseren geringen Kräften einen dauernden Widerstand zu leisten 
 
	        
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