606 128. Das Ende der dreitägigen Schlacht bei Beaugency-Cravant.
Am späten Abend des 4. Dezember fluteten dieselben französischen Massen,
an Zahl sehr herabgemindert, durch Feuer und Schwert zersprengt, blutend,
hungrig, vor Frost zitternd, hoffnungslos, vielfach auch führerlos, im Dunkel
der Nacht trübselig zurück, nach Westen, nach Süden, nach Osten. Schlag auf
Schlag hatte die siegestrunkenen Franzosen getroffen, einer immer vernichtender
als der andere. Die vielgeschmähten Prussiense waren nicht ausgewichen,
sie hatten sich vielmehr mit vollster Wucht dem Feinde entgegengeworfen und
den wilden gallischen Ansturm am 2. Dezember gründlichst abgewiesen. Dann
waren sie sogleich selbst zum Angriff vorgegangen, nicht so leidenschaftlich
enthusiasmiert wie die Franzosen, dafür aber ruhiger, zielbewußter und von
vortrefflich bewährten Führern geleitet. Jetzt lag das stolze Feldzeichen Frank-
reichs danieder. Tiefste Entmutigung war an Stelle der hell lohenden Be-
geisterung getreten. Alles eilte nach rückwärts, vielfach ohne zu wissen wohin.
Nur fort aus der Nähe der siegreichen Deutschen, möglichst weit fort, das war
das Losungswort auf französischer Seite. „Wir können nicht mehr und wir
wollen nicht mehr“, sagten dieselben Soldaten, welche vier Tage früher sich
schon die Freuden eines Einzugs in das befreite Paris ausgemalt hatten.
So stellt sich die Bilanz der Schlacht von Orléans dar. An Stelle einer
an Zahl den deutschen Heeren weitaus überlegenen Armee, welche soeben noch
siegesfreudig auf den Stern Frankreichs vertraute, gab es jetzt nur noch ge-
schlagene Armeekorps, zersprengte Divisionen, welche nach drei verschiedenen
Richtungen hin sich dem Nachdrängen des Siegers zu entziehen trachteten.
Wenn es wahr ist, daß die Franzosen sich leicht für eine Idee begeistern,
daß sie sogar mit glänzendem Elan für eine Idee zu sterben bereit sind und
dabei nach der Zahl der Opfer nicht fragen, so ist es nicht minder wahr, daß
schwere und plötzliche Mißerfolge die Stimmung der Nachkommen der alten
Gallier aufs nachhaltigste beeinflussen und daß Mutlosigkeit, ja Verzweiflung
ebenso schnell dort Platz greift, wo zündende Begeisterung sich kurz vorher ganz
allein gezeigt hat.
128. Das Ende der dreitägigen Schlacht bei Beaugency-Cravant
(8.—10. Dezember); Rüchhehr der Bayern nach Orleans.
Von Karl Tanera. #)
Bis zum vollständigen Eintritt der Dunkelheit hatte das Gefecht gedauert.
Nun aber erkannte man deutlich, daß der Feind auf allen Teilen des Schlacht-
feldes entschieden abgewiesen sei und daß man jetzt doch hoffen dürfe, die
Armee des Generals Chanzy werde sich endlich zur Flucht wenden.
Wie von einem Alp entlastet begrüßte man bei den höheren Stäben
die am Abend des 9. Dezember einlaufenden Meldungen.
1) „An Loire und Sarthe“, S. 207 ff. München 1892, Oskar Beck.