630 139. Schloß Neuschwanstein.
Und wie ihr standet Mann an Mann, Drum Deutschland Heil im Siegesglanz,
So soll es bleiben nun fortan, Daß sich sein grüner Ehrenkranz
Auch wenn die Waffen rasten: In jedem Sturm erneue!
Ein Volhk, vereint in Freud und Leid, ] Ein Hoch der Waffenbrüderschaft,
Dem Frieden hold, doch stark zum Streit — Ein Hoch der deutschen Heldenkraft,
Wer wagt's uns anzutasten? 1 Ein Hoch der deutschen Treue!
139. Schloß NReuschwanstein.
Von Karl von Heigel.)
„Zu bauen liebt er,“ schreibt König Ludwig I. über seinen jugendlichen
Enkel, „vorzüglich überraschend sah ich Gebäude von ihm ausgeführt. Ich
erkenne auffallende Ahnlichkeit im künftigen Ludwig lI. mit dem politisch toten
Ludwig I.“"
König Ludwigs II. Baulust, die seinen Großvater ergötzte, machte seine
Minister wehklagen. Kostbar war das Haus, kostbar die Einrichtung; denn
Ludwig baute weniger um zu wohnen als um zu schauen. Ein anderer liest,
er baute Kulturgeschichte. Seine rätselreiche Bautätigkeit, sein wandelbarer
Geschmack in der Wahl dramatischer Stoffe für sein „Haustheater“ hingen
mit seiner Lektüre zusammen. Weil er oft allein war, auch den Trieb besaß
sich weiterzubilden, las er zahllose Bücher. Er las ohne Auswahl, vielerlei,
doch alles gründlich, am liebsten geschichtliche Werke und unter diesen mit
Vorliebe, Denkwürdigkeiten und Briefe. Und da er nur deutsch und französisch
las, die Literatur Frankreichs aber ihm das, was ihn am stärksten anregte,
Selbstbiographien, Denkwürdigkeiten, Briefsammlungen am reichlichsten bot,
wurde der romantische Jüngling sachte, sachte zum Schwärmer für den Hof
von Versailles. Es ist nicht genau, wenn man sagt, Ludwig XIV. sei das
Eins und Alles unseres Königs gewesen. Wir suchen unser Ideal unter
solchen, denen wir, wenn nicht gleich, doch ähnlich werden können. In
welchen Punkten stimmten aber der Bourbon und der Wittelsbacher überein?
Für jenen war Kriegführen das Salz des Königtums, dieser verabscheute
den Krieg. Ludwig XIV. war für die Jagd, für das Spiel, für die Frauen,
Ludwig II. jagte nicht, spielte nicht und blieb beim Anblick schöner Frauen
gelassen. Im hohen Begriff von der Königswürde treffen beide zusammen,
doch unser Ludwig, auch mit der Machtfülle jener Bourbonen ausgestattet,
würde nie die Bahnen des Sonnenkönigs gewandelt sein. Bezaubert hat ihn
nicht Louis der Eroberer, nicht Louis, der das Edikt von Nantes widerrief,
sondern der Schöpfer und Herr von Versailles, Ludwig XIV. in der Spiegel-
halle mit dem farbigen, schimmernden Gewühl. Und welche Ahnlichkeit hätte
unser Ludwig zwischen sich und Ludwig XV gefunden, mit diesem Schlemmer
1) „König Ludwig II. von Bayern“, ein Beitrag zu seiner Lebensgeschichte, S. 231 ff.
Stuttgart 1893, Bonz.