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Art, die anderen angelockt vielleicht nur durch ein oberflächliches Kuriositäts-
interesse.
Schon allein diese Ausländer, die in stets wachsenden Scharen Bayreuth
besuchen, können uns einen Begriff geben von der nationalen Bedeutsamkeit
der Kunst Richard Wagners. Große Künstler hat es in Deutschland auch
vor ihm schon gegeben; aber er war der erste, der den Glauben an die
deutsche Kunst auch dem Auslande, der ganzen Welt aufgezwungen hat. In
früheren Jahrhunderten schickte man junge deutsche Musiker zu ihrer höheren
Ausbildung nach Italien und auf keinem Gebiete ist die leidige „Ausländerei“
der Deutschen, ihre Vorliebe auch dem minderwertigen Fremden den Vorzug
zu geben vor den köstlichen Schätzen der Heimat so oft und so mit Recht
getadelt worden wie auf dem der dramatischen Kunst. Wenn heute darin
eine wesentliche Wandlung eingetreten ist, wenn heute Amerikaner und Eng-
länder, Franzosen, Russen und Italiener nach Deutschland kommen um die
Tonkunft zu studieren, wenn der deutsche Musiker jetzt in der allgemeinen
Schätzung der Welt ungefähr dieselbe Stellung einnimmt wie im 18. Jahr-
hundert der italienische, wenn wir heute nicht nur nationale Kunstwerke
sondern auch die Mittel und Einrichtungen zu ihrer stilgemäßen Darstellung
besitzen, Einrichtungen, die dem Ausland ein Gegenstand des Neides und der
Nachahmung sind, so ist das in erster Linie das Verdienst des Meisters von
Bayreuth und seines königlichen Gönners.
Beim Verlassen des Bahnhofs verstärkt das Bild der menschenbelebten
Straßen den festlichen Eindruck. Überall auf Schritt und Tritt begegnen uns
Hinweise auf die Veranstaltung, die alle diese Tausende von Festgästen herbei-
gelockt hat. Die ganze Stadt steht unter dem Zeichen Richard Wagners und
seiner Festspiele. An den Schaufenstern der Buch= und Musikalienhändler
erblicken wir fast ausschließlich Wagnersche Werke, Partituren, Klavierauszüge
und Arrangements, dazu die neuesten Erscheinungen der immer gewaltiger
anwachsenden Wagnerliteratur, Bildnisse des Meisters, seiner Jünger und
Freunde, der bei den Festspielen mitwirkenden Dirigenten, Sänger und
Sänugerinnen, Szenenbilder aus den aufgeführten Dramen, Plastiken, Ge-
mälde, Photographien, das denkbar Verschiedenartigste in Form und Aus-
führung, aber alles in irgend einer Beziehung stehend zu dem Meister und
seinem Werke.
In diesen Tagen ist Bayreuth ausschließlich Festspielstadt. Daß es noch
ein anderes Bayreuth gibt, ein zwar der Vergangenheit angehöriges, aber
mit seinen Monumenten bis in die Gegenwart hineinragendes und heute noch
sichtbares historisches Bayreuth, daran muß man sich fast gewaltsam erst
erinnern. Und doch gewährt es einen ganz besonderen Reiz, diese beiden
großen Gegensätze, die alte Markgrafenresidenz und die moderne Wagnerstadt
gleichzeitig zu genießen, in dem heutigen Bayreuth den Spuren der alten,
längst verklungenen Fürstenherrlichkeit nachzugehen.