141. König Ludwigs II. Persönlichkeit. 643
mir auf diese Weise schon manche trübe Stunde bereitet. Warum mir nur die
Menschen meine Neigungen mißgönnen, durch die ich doch niemand beeinträch-
tigen werde.“
Schon in seiner Jugend war er viel isoliert gehalten worden; seiner Er-
ziehung fehlte der Ansporn, der durch die Konkurrenz mit anderen Knaben
erwächst. Wenn er auch nie gern Audienzen erteilte, so bezwang Ludwig sich
doch im Anfang seiner Regierung. Wie bezaubernd wirkte das Auftreten des
jugendlichen Monarchen gelegentlich seiner Reise in die fränkischen Provinzen
1866, besonders bei jenem Ball in Nürnberg! Schon 1871 war Ludwig jedoch
solcher Aufopferung nicht mehr fähig und immer häufiger wurden seine Ab-
sagen bei offiziellen Gelegenheiten. Sein Bedürfnis nach Sammlung ist gewiß
anzuerkennen, wenn er fragt: „Ziemt es dem Fürsten denn nicht, über die
Pflichten seines Berufes nachzudenken, was doch besser mit Gott und der Natur
als im Geräusch des Hoflebens geschehen kann?“ Auch sein Wort an Wagner
klingt noch verständlich: „Trotzen wir den Launen des tückischen Tages da-
durch, daß wir uns nicht beirren lassen, ziehen wir uns zurück von der Außen-
welt, sie versteht uns nicht!“
Der Adler sliegt allein,
Der Rabe scharenweise:;
Gesellschaft braucht der Tor
Und Einsambkeit der Weise.
Aber die Menschenscheu mußte auch wieder ihre Rückwirkung üben auf
das der Außenwelt immer fremder werdende Gemüt des Königs. „Er ist leider
so schön und geistvoll“, meinte R. Wagner schon 1864, „so seelenvoll und
herrlich, daß ich fürchte, sein Leben müsse wie ein flüchtiger Göttertraum in
dieser gemeinen Welt zerrinnen Von dem Zauber seines Anges können
Sie sich keinen Begriff machen. Wenn er nur leben bleibt. Es ist ein un-
erhörtes Wunder.“ Die Welt mit ihrer Gemeinheit, die Menschen mit ihrem
Egoismus mußten auf eine solche Seele eine abschreckende Wirkung ausüben.
Enttäuschungen und Kränkungen aller Art kamen hinzu. Uberall wurden seine
idealen Ziele mißverstanden; die politischen Parteien traten in Gegensatz zu
den Ministern. In der jüngsten Tochter des Herzogs Maximilian von Bayern,
Sophie, glaubte er den Engel gefunden zu haben, der ihn durchs Leben geleite;
wieder eine schmerzliche Erfahrung, welche die Auflösung der Verlobung herbei-
führte. Aber rein und keusch blieb sein Empfinden den Frauen gegenüber,
wenn er auch außer Prinzessin Gisela und seiner Mutter niemand mehr näher
trat. In zartem Gefühl hatte er der letzteren nach der Thronbesteigung statt
des sonst üblichen Titels „Königinwitwe“ die Bezeichnung „Königinmutter“
verliehen. Als sie einmal einen Tannenbaum von ihrem Fenster in Hohen-
schwangau aus bewunderte, ließ er denselben an Weihnachten mit Lichtern
schmücken zur Überraschung für die Königin. Erst später wurde auch dieses zarte
Verhältnis durch die immer weiterschreitende Krankheit des Sohnes gestört.
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