72 17. Der Bayernstamm im altdeutschen Schrifttum.
Verfasser der Kaiserchronik gewesen zu sein, der ersten der im Mittelalter
so beliebt gewordenen Reimchroniken. Sicher ist sie aus dem Kreise der Re-
gensburger Geistlichkeit hervorgegangen, wie sie denn besonders bayerische Über-
lieferungen mit sichtlicher Vorliebe behandelt, so eine Erinnerung an die Besitz-
ergreifung des Etschlandes durch den bayerischen Stamm, die Sage vom
Herzog Adelger, dem Kaiser Severus Haar und Gewand zum Schimpfe
kürzen läßt, worauf das treue Bayernvolk dadurch die Schmach von seinem
Herrn wendet, daß es die dem Herzog zur Demütigung aufgezwungene Tracht
zur allgemeinen erhebt und unter seiner Führung den Angriff Severs in
tapferem Kampfe auf dem Felde zu Brixen zurückweist, wo Severus Sieg
und Leben verliert, Herzog Adelger aber seinen Speer am Heselbrunnen in
die Erde stößt mit den Worten: „Das Land hab' ich gewonnen den Bayern
zur Ehre, die Mark soll ihnen fortan dienen immer mehre.“
Hatten die zuletzt genannten Dichtungen trotz ihres weltlichen Inhaltes
noch Geistliche zu Verfassern, so trat in den nun folgenden Spielmanns-
epen das Laientum in Stoff wie Verfasserschaft immer stärker hervor. Und
auch dabei zeigte sich Bayern als ein Land des Gesanges. Hier dichtete um
1150 ein aus den Rheinlanden stammender Spielmann das Lied von der
Königs= und Mannentreue, das Heldengedicht vom König Rother; hier fand
auch die Sage von der Freundestreue im Lied vom Herzog Ernst gleichfalls
durch einen rheinischen Spielmann um 1175 ihre erste künstlerische Fassung.
Und die Vagantenpoesie, diese reizvolle Frühblüte mittelalterlicher
Lyrik, die im Archipoeta am Hofe Friedrich Rotbarts ihren glänzendsten Vertreter
gefunden, sie scheint in Bayern besonders beliebt gewesen zu sein; wenigstens
hat ein Kloster dieses Landes, Benediktbeuern, die wichtigste Sammlung dieser
eigenartigen lateinisch-deutschen Mischdichtung, die Carmina Burana, auf
uns gebracht.
Aber auch der deutsche Minnesang ließ gerade im bayerisch-öster-
reichischen Stammesgebiet seine frühesten und seine frischesten Weisen erklingen.
Der ersten, schüchternen Knospe, die uns Ruodlieb in jenem lateinisch-deutschen
Liebesgruß geboten, reiht sich in den Briefen Wernhers von Tegernsee
die zarte Erstlingsblüte an:
„De bist min, ich bin di,
Des solt dü gewis sin.
Dü bist beslozzen
In minem herzen;
Verlorn ist daz slüzzelin:
Dü muost immer drinne sin.“
Und der Kürenberger sowie Dietmar von Aist, deren schlichte Herzens-
töne noch heute nach siebenhundert Jahren ihres Eindruckes nicht verfehlen,
sind sie nicht als Oberösterreicher bayerischen Stammes? Aber auch im eigent-
lichen Bayern erklang die Ritterharfe hell und wohltönend genug. So in
den Liedern des Burggrafen von Regensburg und des von Rieten-