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Den Grundsatz der freien Wahrheitswürdigung folgt
der Grundsatz der Beweisverbindung. Ebensowenig wie bei
Verhandlungen vor einem gewöhnlichen Gerichte ein Beweis-
beschluß eine bindende Entscheidung ist, ebensowenig war die
Wahlprüfungskommission und das Plenum und beide unter-
einander an eine frühere Beanstandung gebunden. Wenn
auch die früher festgestellten Tatsachen, die den Gegenstand
einer Beanstandung bildete, sich als wahr erwiesen, so konnte
doch für die Gültigkeit einer Wahl entschieden werden.
b) Wie in anderen richterlichen Verfahren galten auch
im Wahlprüfungsverfahren vor allem folgende Beweismittel
als zulässig: Der Augenschein, der Urkundenbeweis und der
Zeugenbeweis. — Der Augenschein konnte vor allem bei der
Beurteilung von Stimmzetteln in Bezug auf ihre Größe,
Dicke, auf den Aufdruck usw. in Frage kommen.
Der Urkundenbeweis konnte in allen den Fällen er-
forderlich werden, in denen die Wahlfähigkeit eines Wählers
in Frage stand.
Der Zeugenbeweis schließlich konnte zur Erleuchtung
aller einzelnen Vorgänge dienen. In seinen Anfängen hat
sich der Reichstag gescheut, dieses letztere Beweismittel anzu-
wenden, um nicht möglicherweise eine Verletzung des Wahl-
geheimnisses zu verlangen:!). Seit 1891 sind die Bedenken in
dieser Richtung verschwunden; nur mußten seither die betref-
senden zu einer Zeugenaussage herangezogenen Wähler
darauf aufmerksam gemacht werden, daß sie die eidliche Aus-
sage verweigern konnten2).
Standen Wahldelikte in Frage, so folgte der Reichstag
vielmehr den Grundsätzen der Strafprozeßordnung: Personen,
die als Täter der Wahldelikte in Frage kamen, wurden nicht
vereidigts). Ebenso wurden Beamte, die sich möglicherweise
1) S. Sitzungen v. 13. 9. 67, S. 10. v. 5. 4. 71, S. 183.
2) So z. B. Sitzung v. 17. 1. 91, S. 1017, vgl. Hatschek S. 535.
3) S. z. Sitzung v. 24. 4. 96, S. 1928.