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in Jünnan auf; im 3. Jahrh. wurden sie durch
die Ausbreitung Chinas mehr nach Südwesten
gedrängt. In der zweiten Hälfte des 6. Jahrh.
drang ein Teil der Thaistämme aus den Gebirgen
an der Grenze Tibets und Chinas in den Nord-
osten des heutigen Siam ein (bis zum 18. Grad
nördl. Br.) und machte im 7. Jahrh. einen Vor-
stoß bis Kambodscha, geriet aber unter die Bot-
mäßigkeit der Kambodschaner, deren Religion
und Gesetze er annahm; der Buddhismus wurde
638 als Staatsreligion eingeführt. In der Mitte
des 10. Jahrh. wurden sie durch Phra Ruang
wieder unabhängig und gründeten auf Kosten der
Khmer einen selbständigen Staat, aus dem um
1250 das Fürstentum KXing-Mai (im heutigen
Jünnan) hervorging. 1253/54 brach der chine-
sische Generalstatthalter Mangu Chans, Kublai,
über die Thai herein, vernichtete das von ihnen
gegründete Reich (Namtschao) und schob die Sia-
mesen weiter gegen das Meer vor, das sie am Ende
des 13. Jahrh. erreichten. Der 1344 zur Regie-
rung gelangte König Rama Thibodi (1344/69)
dehnte das Reich über einen großen Teil von
Kambodscha und die Halbinsel Malaka aus und
verlegte seine Residenz nach Ajuthig. Zu China
trat das Reich in ein freundschaftliches Verhält-
nis, das aber auch die Tributpflicht in sich schloß.
Die Nachfolger Rama Thibodis hatten Mühe,
das Reich in seinem Bestand zu erhalten, beson-
ders gegenüber den Angriffen der birmanischen
Peguaner. Mit den Europäern kam Siam zum
erstenmal 1511 in Berührung, als die Portu-
giesen die Stadt Malaka besetzten; zwischen beiden
Staaten kam sogar ein Handelsvertrag zustande.
Die 1544 mit Pegu neu beginnenden Kämpfe
endeten damit, daß 1556 Ajuthia von den Pegu-
anern erobert und Siam eine birmanische Pro-
vinz wurde. Doch Phra Naret, der Nationalheld
Siams, ein Sohn des Schwagers des letzten
Königs, befreite 1564 sein Vaterland wieder von
der Herrschaft Pegus, unterwarf seinerseits 1579
die Peguaner und dehnte sein Reich auch über einen
Teil von Kambodscha aus. Unter seinen schwachen
Nachfolgern ging Siam immer mehr zurück und
wurde 1767 nach dem Fall Ajuthias neuerdings
eine Beute der Birmanen, die jedoch nur schwache
Besatzungen im Land zurückließen. So konnte ein
siamesischer Statthalter, Phaya Tak, ein Chinese
von Geburt, von Norden ausgehend, die Herr-
schaft der Birmanen wieder abschütteln und die
Anerkennung Chinas erlangen; die Residenz ver-
legte er, da Ajuthia völlig zerstört war, 1768 nach
Bangkok; im selben Jahr unterwarf er Kam-
bodscha, 1777 die Laos. Als er in einem Volks-
aufstand getötet worden war, ergriff 1782 sein
Minister Tschakri, der Begründer der jetzigen
Herrscherdynastie, die Regierung. Die Könige
dieser Dynastie befolgten im allgemeinen die Po-
litik der Abschließung gegen alles Fremde; den
christlichen Missionen wurden die größten Schwie-
rigkeiten in den Weg gelegt und wiederholt Ver-
Siam.
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fügungen gegen das Christentum erlassen. Unter
Maha Mongkut (1851/68) wurden Beziehungen
mit dem Ausland angeknüpft; 1855 kam ein
Handelsvertrag mit Großbritannien zustande,
1856 mit Frankreich, 1862 mit Deutschland,
1868 mit Osterreich. König Tschulalongkorn
(1868/1910) hat außerordentlich viel getan, um
durch Einführung von Reformen im europäischen
Sinn, Umwandlung des alten Feudalstaats in
einen Polizeistaat, Einführung einer zeitgemäßen
Verwaltung, Schaffung moderner Verkehrsmittel,
Entwicklung der natürlichen Kräfte des Landes
usw. sein Reich auf eine höhere Stufe der Kultur
und Zivilisation zu heben.
In der äußern Politik vermochte Siam in den
letzten Dezennien seinen Besitzstand nicht zu be-
wahren. Durch die seit 1858 schrittweise erfol-
gende Unterwerfung des Ostens von Hinterindien
waren die Franzosen im Osten, durch Eroberung
von Birma 1886 und der Schanstaaten 1887/88
die Engländer im Westen und Norden Grenz-
nachbarn von Siam geworden. Gegenüber deren
Bestrebungen, den hinterindischen Besitz auf Kosten
Siams zu erweitern, war dieses im Grunde wehr-
los. Als England zu Beginn der 1880er Jahre
den Besitz von Kientong am mittleren linken Me-
kongufer beanspruchte, erhob Frankreich, dem da-
mit der Zugang zu Jünnan auf dem Fluß ab-
geschnitten worden wäre, Einspruch und verlangte
als Schutzmacht von Annam den mittleren Lauf
des Mekong als frühere Westgrenze Annams für
sich. Durch französische Militärexpeditionen wurde
das ganze mittlere Stromgebiet des Mekong besetzt
und jeder Widerstand der siamesischen Behörden
in den betreffenden Distrikten mußte als Anlaß zu
weiteren Expeditionen dienen. Zwar protestierte
England, das im Vertrag 1892 Siam als Herrn
von Kientong anerkannt hatte, und Siam schlug
die Einsetzung eines Schiedsgerichts vor, das aber
von Frankreich abgelehnt wurde. Infolge von
Kämpfen zwischen französischen und siamesischen
Truppen im Norden des Mekonggebiets kam es
1893 zu kriegerischen Verwicklungen mit Frank-
reich; dieses schickte 2 Kriegsschiffe den Menam
hinauf, die am 13. Juli vor Bangkok landeten und
Siam zur Nachgiebigkeit zwangen. Im Vertrag
vom 3. Okt. 1893 mußte Siam das Gebiet links
vom Mekong an Frankreich abtreten. Nach diesem
ersten Erfolg der europäischen Politik hat die Ver-
ringerung Siams seither Fortschritte gemacht.
Großbritannien und Frankreich einigten sich im
Vertrag vom 15. Jan. 1896 dahin, daß nur das
Gebiet des Menam als neutraler selbständiger
Pufferstaat erhalten bleiben, während das Gebiet
westlich davon die britische, das Gebiet östlich die
französische Interessensphäre bilden solle, in dem
beide Staaten bei etwaigen späteren Unterneh-
mungen sich nicht entgegenzutreten verpflichteten.
Frankreich zwang 1902 Siam zur Abtretung der
Provinzen Bassac und Melu Prei sowie des
Küstengebiets von Krat, wofür es Schantabun