Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

46 Dritter Abschnitt: Die natürlichen Grundlagen d. Reiches. (Land u. Volk.) $ 9 
  
  
III. Rechte. Den staatsbürgerlichen Pflichten entspricht der Anspruch 
des Staatsbürgers auf die Erfüllung der Aufgaben, welche der Staat seinen 
Angehörigen gegenüber übernommen hat und zwar sowohl nach aussen als 
im Innerm !). 
1. Schutz ım Auslande. RV. Art. 3 Abs. 6 bestimmt: ‚Dem 
Auslande gegenüber haben alle Deutschen gleichmässig Anspruch auf den 
Schutz des Reiches.“ Nicht bloss die Einzelstaaten haben einen Anspruch an 
das Reich, dass es sie und ihre Angehörigen schützt, sondern die RV, verleiht 
diesen „Anspruch“ allen Deutschen unmittelbar. Dieser Aufgabe gemäss 
erstreckt sich die Kompetenz des Reiches auf ‚die Organisation eines gemein- 
samen Schutzes des deutschen Handels im Auslande, der deutschen Schiff- 
fahrt und ihrer Flagge zur See und Anordnung gemeinsamer konsularischer 
Vertretung, welche vom Reiche ausgestattet wird‘ ?). Zur Gewährung des 
Schutzes hat das Reich Gesandtschaften eingerichtet und Konsulate organi- 
siert, und zur wirksamen Durchführung verfügt es über das Heer und die 
Kriegsmarine. Den Einzelstaaten ist es jedoch unbenommen, sich selbst ihrer 
Angehörigen im Auslande anzunehmen und in Angelegenheiten derselben den 
Reichskonsuln Aufträge zu erteilen und unmittelbare Berichtserstattung zu 
verlangen ?). 
2.Inden inneren Angelegenheiten entspricht der Pflicht des Staats- 
bürgers zur Tragung der staatsbürgerlichen Lasten, zum Gehorsam und zur 
Treue sein Recht, an den Wohltaten des staatlichen Gemeinwesens teilzu- 
nehmen, d. h. im Gebiete und unter dem Schutz des Staates leben zu dürfen. 
Das ist der wesentliche Unterschied zwischen der rechtlichen Stellung 
des Staatsangehörigen und derjenigen des Fremden, dass der letztere im 
Staat geduldet wird ?), der erstere berechtigt ist, im Staate zu 
1) Die sogen. Freiheitsrechte oder Grundrechte sind keine Rechte im subjektiven 
Sinne, sondern Normen für die Staatsgewalt, welche dieselbe sich selbst gibt; sie bilden 
Schranken für die Machtbefugnisse der Behörden; sie sichern dem Einzelnen seine 
natürliche Handlungsfreiheit in bestimmtem Unifange; aber sie begründen nicht 
subjektive Rechte der Staatsbürger, denn sie haben kein Objekt. Sie sind nur Negatio- 
nen von Freiheitsbeschränkungen. Ihre Hervorhebung in den Verfassungsurkunden 
beruht auf einer historischen Reminiszenz an ehemalige Eingriffe der 
Staatsgewalt, welche mit den heutigen Rechts- und Kulturzuständen nicht mehr oder 
wenigstens nicht mehr in demselben Unifang wie früher vereinbar scheinen. Durch 
diese besondere Erwähnung werden sie nicht, wie öfters behauptet wird, in subjektive 
Rechte verwandelt. Vgl. v. Gerber, Ueber öffentl. Rechte 8. 76 ff. und Grundzüge 
des Staatsrechts $ 10 Note 5 und $ 17. Seydel, Bayer. Staatsr. I S. 300. Vgl. auch 
Jellinek, Syst. der subj. öffentl. Rechte S. 67 ff. über ‚„Reflexrecht u. subjektives 
Recht‘. Eine gute Bearbeitung der Lehre ist Friedr. Giese, Die Grundrechte. 
Tübingen 1905 (Abhandl. von Zorn u. Stier-Somlo I,2). Anschütz Enzykl. S. 535 
„es gibt keine Grundrechte, sondern nur ein Grundrecht, das Recht auf Unterlassung 
gesetzwidrigen Zwanges.“ Ueber das Reichstagswahlrecht und die Fähigkeit, zum Mit- 
glied des Reichstags gewählt zu werden, siche unten $ 12 II. Auch wenn man in dieser 
Anteilnahme am Verfassungsleben des Reichs ein subjektives Recht erblickt, so steht 
es doch nicht allen Reichsangehörigen zu, sondern hat noch andere Voraussetzungen. 
2) RV. Art. 4 Nr. 7. 
3) RG. v. 8. Nov. 1867 $ 3 Abs. 2. 
4) Auch durch Niederlassungsverträge, wie sie zwischen dem Deutschen Reich und 
der Schweiz (v. 31. Mai 1890. RGBl. S. 131) und den Nicderlanden (v. 17. Dez. 1904. 
RGBl. 1906 S. 879) abgeschlossen worden sind, wird nur eine völkerrechtliche Pflicht 
unter den Staaten begründet, aber dem Einzelnen kein subjektives Recht ein- 
geräundt. v. Overbeck, Niederlassungsfreiheit u. Ausweisungsrecht. Karlsr. 1907.
	        
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