Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

8 4. Die Gründung des Deutschen Reiches. 45 
der Novemberverträge ganz analog dem Rechtsverhältnisse, welches 
unter den norddeutschen Staaten seit dem 16. April 1867, d. h. seit der 
Vereinbarung des Verfassungsentwurfs unter den norddeutschen Re- 
gierungen nach Schluß der Beratungen des Reichstages, aber vor dem 
1. Juli 1867 bestand. Die Anlage zum badisch-hessischen Vertrage 
(nebst den mit Württemberg vereinbarten Modifikationen) war ein 
Verfassungsentwurf für den Fall, daß Bayern dem Bunde nicht 
beitreten sollte; der Art. II des bayerischen Vertrages war ein Ver- 
fassungsentwurf für den entgegengesetzten Fall. Der Deutsche 
Bund selbst war durch diese Verträge und Verfassungsentwürfe noch 
nicht existent geworden, sondern es war nur eine vollständige Willens- 
übereinstimmung erzielt worden, wie dieser Bund beschaffen sein sollte. 
Das Deutsche Reich ist nicht am 15./23. November 1870 gegründet 
worden mit einem dies a quo (1. Januar 1871), sondern es ist am 
15./23. November 1870 vertragsmäßig stipuliert worden, daß am 1. Ja- 
nuar 1871 das Deutsche Reich gegründet werden sollte, daß an diesem 
Tage die Verfassung desselben in Kraft treten sollte. 
3. Die Genehmigung der Volksvertretungen des Norddeutschen 
Bundes und der vier süddeutschen Staaten bezieht sich auf diese 
»Gründung«, d. h. im Norddeutschen Bunde auf die Erweiterung des- 
selben durch Aufnahme der süddeutschen Staaten, in den süddeutschen 
Staaten auf deren Eintritt in den Bund. Die Reichsverfassung ist in 
den süddeutschen Staaten nicht als »Landesgesetz« eingeführt worden; 
es wäre dies ebenso unmöglich gewesen, wie die Einführung der nord- 
deutschen Bundesverfassung als Landesgesetz der norddeutschen Staa- 
ten. Der Eintritt der süddeutschen Staaten in den Bund hat zwar eine 
höchst eingreifende Veränderung ihres Landesrechtes bewirkt und zur 
Folge gehabt, aber nur dieser Eintritt selbst istein Willensakt 
der süddeutschen Staaten gewesen, die Einrichtungen des Bundes sind 
nicht Objekte der Staatsgewalt und mithin auch nicht der Gesetzgebung 
der süddeutschen Staaten. 
Auch formell war in den süddeutschen Staaten der Vorgang diesem 
Sachverhalt entsprechend, indem nicht die Bundesverfassung als solche 
gesetzlich sanktioniert wurde, sondern die »Verträge« unter Konstatie- 
rung der ihnen zu Teil gewordenen landständischen Genehmigung und 
der erfolgten Ratifizierung verkündet wurden '). 
Dagegen hat die Zustimmung des norddeutschen Reichstages eine 
etwas abweichende Bedeutung. Auch hier war sie »Genehmigung der 
Verträge«?) und damit staatsrechtliche Ermächtigung der Bundesregie- 
. 
  
l) Badisches und hessisches Regierungsblatt vom 31. Dezember 
1870. Württembergisches Regierungsblatt 1871, Nr.1. Bayerisches 
Gesetzblatt 1871, Nr. 22, S. 149. In den drei ersten Staaten wurde dann noch 
besonders der bayerische Vertrag verkündigt. Vgl. Thudichum in v. Holtzendorffs 
Jahrb. I, S. 5, Note 2. 
2) Der Reichstag nahm an dem Vertrage mit Bayern drei unerhebliche Fassungs-
	        
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