Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

96 8 58. Die Rechtsverordnungen des Reiches. 
handlung möglich ist!). Die weitaus größte Anzahl der von Arndt 
aufgeführten Fälle kann ich nicht gelten lassen, weil diese Verord- 
nungen teils auf einer in der Reichsverfassung oder in Reichsgesetzen 
wirklich oder vermeintlich erteilten Ermächtigung beruhen, teils in 
der Tat nur Verwaltungsvorschriften enthalten; die sehr wenigen übrig 
bleibenden Fälle, in welchen der Bundesrat eine Verordnung, die nicht 
bloß Verwaltungsvorschriften enthält, auf Grund des Art. 7 Ziff. 2 er- 
lassen hat, aber beweisen nur, daß die Praxis eine schwankende und 
der Bundesrat nicht in allen Fällen der ihm durch die Verfassung ge- 
zogenen Schranken sich klar bewußt gewesen ist ?). 
Ist hiernach daran festzuhalten, daß die Reichsverfassung eine all- 
gemeine Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen behufs 
Ergänzung oder Ausführung von Reichsgesetzen keinem Organ des 
Reiches erteilt, so ist es andererseits eine unbegründete Behauptung, 
daß die Reichsverfassung den Erlaß von Rechtsvorschriften im Ver- 
ordnungswege verboten oder für unzulässig erklärt habe °). Der Ge- 
setzgebung ist keine Schranke auferlegt, daß sie nicht auch Anord- 
nungen über die Aufstellung von Rechtsvorschriften treffen dürfte. 
Art.5 enthält lediglich eine Bestimmung, in welcher Form die Reichs- 
gesetzgebung ausgeübt wird, aber keine Vorschrift, worin der Inhalt 
eines Reichsgesetzes bestehen müsse oder nicht bestehen dürfe. Ein 
Gesetz kann demnach, anstatt unmittelbar Rechtsregeln aufzu- 
stellen, Anordnungen darüber enthalten, wie gewisse Rechtsregeln, 
erlassen werden sollen. Es liegt hierin keine Verletzung oder Auf- 
hebung, sondern eine besondere Anwendung der im Art.5 gegebenen 
Vorschrift *). Man kann daher nicht das Erfordernis aufstellen, daß 
1) Darüber vgl. jetzt die mehrfach zitierte vortreffliche Schrift von Hubrich 
das Reichsgericht ete. 
2) Arndt pflegt auch sonst zu behaupten, daß seine Ansichten der „Praxis“ 
entsprechen; es beruht dies aber meistens auf Selbsttäuschung. Als ein Beispiel von 
vielen aus der „Praxis“ sei erwähnt die Entscheidung des Reichsgerichts (I. Strafsenat) 
v. 15. Juni 1891 (Bd. 22 S. 48; Hubrich S. 26). „Nach Art. 7 Ziff. 2 RV. dürfen die 
vom Bundesrat beschlossenen Ausführungsverordn. — ohne im Gesetz gegebene 
anderweite Ermächtigung — Rechtsvorschriften überhaupt nicht auf- 
stellen; sie dienen vielmehr als Verwaltungsverordnung nur dazu, die im 
Gesetz beim Eintritt gewisser Vorkommnisse vorgesehenen Handlungen zu gebieten, 
einzuschränken oder zu verbieten, die Modalitäten, unter denen die Handlungen zu 
vollziehen, zu bezeichnen, die Tätigkeit, sowie das Verhalten der Be- 
hörden bei der weiteren Ausführung des die Stütze der Verordnung bildenden 
Gesetzes zu regeln, nicht aber dazu, eine Rechtsordnung bezw. Rechtssätze zu nor- 
mieren“. 
3) Diese Theorie ist von v. Rönne, Staatsrecht d. Deutschen Reichs Il, 1, 
S. 13 ff. entwickelt worden. Sie ist in der ersten Auflage dieses Werkes, Bd. I, 
S. 74fg. und darnach von Arndta.a. O. S. 16ff. widerlegt worden. Siehe auch 
JellinekS. 333. Da sie in der Literatur keinen Anklang gefunden hat, so gehe 
ich auf eine Polemik gegen dieselbe hier nicht weiter ein. 
4) Vgl. Seydel iin Hirths Annalen 1874, S. 1145, der sich sehr treffend hier- 
über äußert.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.