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schen Kaiser und Bundesrat ist die Vorbedingung zu ihrem Erlaß !).
Die Sanktion der Verordnung aber steht dem Kaiser zu; die Beschlüsse
des Bundesrates sind demnach, wenngleich sie unter Zustimmung der
preußischen Vertreter gefaßt sind, nicht rechtswirksam, solange der
Kaiser dieselben nicht sanktioniert hat. Es ist dies wesentlich verschie-
den von der kaiserlichen Ausfertigung und Verkündigung eines Ge-
setzes. Dieselbe ist eine Erklärung von ganz anderem Inhalte als die
Sanktion und ist, wofern das Gesetz ordnungsmäßig zustande ge-
kommen ist, eine Pflicht desKaisers?). Die Verordnung dagegen kommt
durch die Beschlußfassung des Bundesrates nicht zustande, sondern
wird durch dieselbe nur vorbereitet und ermöglicht; der Kaiser ist da-
her völlig ungehindert, die Sanktion zu versagen. In politischer Be-
ziehung ist dies in dem Falle ohne Belang, wenn die preußischen Be-
vollmächtigten im Bundesrat der Verordnung zugestimmt haben; juri-
stisch aber ist es auch in diesem Falle von Erheblichkeit, daß die mit
Zustimmung des Bundesrates erlassenen Verordnungen nicht Gesetz-
gebungsakte des Bundesrates, sondern des Kaisers sind. Denn wenn
in einem Reichsgesetz der Erlaß von Ausführungsvorschriften dem
Kaiser delegiert ist, würden vom Bundesrat erlassene Verord-
nungen null und nichtig sein, während durchaus kein Hindernis be-
steht, daß der Kaiser auch in denjenigen Fällen, in welchen ihm dies
1905 (RGBl. S. 713); Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz 8& 15, 16, 17,
zur Zivilprozeßordnung $ 6; Gesetz über die Küstenfrachtschiffahrt vom 22. Mai 1881,
8& 2 (Reichsgesetzbl. S. 97); Gesetz vom 10. September 1883, $ 2 (Reichsgesetzbl.
S. 308). Arbeiterschutzgesetz vom 1. Juni 1891 Art. 9 (RGBl. S. 289); Patentgesetz
vom 7. April 1891 8 17 (RGBl. S. 79). Gesetz vom 27. April 1894, Art. 3 (Reichsge-
setzbl. S. 372); Gesetz vom 12. Mai 1894, 8 25 (Reichsgesetzbl. S. 448); Gesetz vom
28. Juli 1895, 8 4 (Reichsgesetzbl. S. 426); Gesetz vom 9. Juni 1897, $ 42 (Reichsge-
setzbl. S. 471); Gesetz vom 26. Juli 1897, Art. 9 (Reichsgesetzbl. S. 706); Einführungs-
gesetz zur Militärstrafgerichts-O. 8 1; Gesetz vom 13. Juli 1899, 8 106, Abs. 6; $ 110,
Abs. 4; 8 119 (Reichsgesetzbl. S. 502, 503, 507); Gesetz vom 7. April 1900, 8 1, Abs. 2.
Gesetz vom 25. Dezember 1902 8 16 (RGBl. S. 312). Vgl. V. vom 27. Februar 1905
(RGBl. S. 155); Gesetz vom 29. Mai 1901 88 26 und 26a (RGBl. S. 184); Gesetz vom
25. Mai 1903 Art. IV (RGBl. S. 239); Gesetz vom 6. Mai 1910 Art. II (RGBlI. S. 674).
Vgl. Hänel, Studien I, S. 76fg.
1) Statt der Klausel „mit Zustimmung des Bundesrates“ findet sich in einigen
Gesetzen auch der Ausdruck: „im Einvernehmen mit dem Bundesrate“ z.B. im
Gesetz vom 16. März 1886, $ 3 (Reichsgesetzbl. S. 58), vom 27. Mai 1896 (Reichsge-
setzbl. S. 150), vom 20. Juni 1899, 8 1 (Reichsgesetzbl. S. 315). V. vom 4. Nov. 1907
(RGBl. S. 742). Thudichum, Verfassungsrecht S. 90, meint, daß dieser Ausdruck
dem Kaiser zwar die Pflicht auferlege, mit dem Bundesrate vor Verkündigung der
Verordnung in Verhandlung zu treten, daß aber der Erlaß der Verordnung durch
den Widerspruch des Bundesrates nicht gehindert werden könne. Auch v. Mohl
S. 266, 267 ist dieser Ansicht, „weil sonst wohl ‚im Einverständnisse‘ gesagt worden
wäre“. Im folgt fast wörtlich v. Rönne I], S. 214, Note 2 a. E. Ich vermag mich
dieser Auslegung nicht anzuschließen, welche dem allgemeinen Sprachgebrauch Zwang
antut. „Im Einvernehmen mit jemandem“ heißt nicht: „nach Vernehmung“, sondern
ist ganz gleichbedeutend mit: „im Einverständnis“.
2) Siehe oben S. 43, 44.