100 8 58. Die Rechtsverordnungen des Reichs.
nicht gesetzlich zur Pflicht gemacht ist, sich. der Zustimmung des
Bundesrates zu dem Inhalte der von ihm zu erlassenden Verordnungen
versichert '). In keinem Falle aber kann gegen oder auch nur ohne
den Willen des Kaisers eine solche Verordnung zustande kommen,
und es ist wenigstens denkbar und staatsrechtlich zulässig, daß der
Kaiser den Erlaß der Verordnung nachträglich ablehnt, obgleich die
preußischen Stimmen im Bundesrate für Erteilung der Zustimmung
abgegeben worden sind.
3. Verordnungen des Reichskanzlers oder einer an-
deren Reichsbehörde. Dieser Fall hat die größte Verwandt-
schaft mit der Delegation zugunsten des Kaisers und ist ihm in allen
Stücken analog. Denn der Reichskanzler und die übrigen Reichsbe-
hörden sind Gehilfen des Kaisers, deren er sich bei der ihm zustehen-
den Regierungstätigkeit bedient. Alle einer Reichsbehörde zustehen-
den Befugnisse sind umschlossen von der kaiserlichen Prärogative und
staatsrechtlich nur Betätigungen der dem Kaiser übertragenen Füh-
rung der Regierungsgeschäfte 2). Man kann daher jede gesetzliche An-
ordnung, welche dem Reichskanzler oder einer anderen Reichsbe-
hörde den Erlaß einer Rechtsverordnung überträgt, juristisch auffassen
als die Delegation des Verordnungsrechtes zugunsten des Kaisers,
mit der Maßgabe, daß nicht der Kaiser selbst dieses Geschäft zu ver-
sehen braucht, sondern daß es für ihn sein Minister (der Reichs-
kanzler) oder eine andere, zur Führung solcher Geschäfte konstituierte
Behörde erledigen kann. Daß dies in der Tat sich so verhält, ergibt
sich daraus, daß der Kaiser, falls er will, innerhalb der durch die Ge-
setze gegebenen Grenzen dem Reichskanzler Anweisungen erteilen
kann, in welcher Art die Verordnung von ihm erlassen werden soll,
und daß er einen Reichskanzler, welcher einem solchen Befehl zu-
wider handelt, entlassen kann ?).
Ist die gesetzliche Ermächtigung dem Reichskanzler erteilt, so kann
die Verordnung auch. von einem Stellvertreter desselben nach MaßB-
gabe des Reichsgesetzes vom 17. März 1878 erlassen werden; dagegen
ist die Subdelegation an einen anderen Reichsbeamten, falls sie nicht
durch eine spezielle Anordnung des Gesetzes vorbehalten ist, unzu-
lässig. Ebensowenig kann an die Stelle der Verordnung des Reichs-
1) Dies geschieht sehr häufig, wie die Protokolle des Bundesrats beweisen.
2) Vgl. Bd. 1, S. 369 fg.
3) In der ersten Auflage dieses Werkes ist hieraus gefolgert worden, daß Ver-
ordnungen, deren Erlaß dem Reichskanzler delegiert ist, auch vom Kaiser selbst er-
lassen werden dürfen. Obwohl Arndt S. 176 dieser Ansicht zugestimmt hat, so
habe ich mich doch von der Unrichtigkeit derselben überzeugt. Denn die Delegation
an den Reichskanzler hat nicht nur die Bedeutung, den Kaiser von dem Erlaß der
Verordnung zu entlasten, sondern auch die Abänderung oder Aufhebung dieser Vor-
schriften zu erleichtern und in die selbständige Entschließung des Reichskanzlers
zu stellen. Vgl. Hensel, Annalen 1882, S. 26; E. Mayer, Krit. Vierteljahrsschr.
N. F. Bd. 8, S. 140 und namentlich Rosin, Polizeiverordnungsrecht S. 218.
4) Vgl. Rosin S. 214. Ein Beispiel liefert das Schutzgebietsgesetz $ 15, Abs. 3.