8 58. Die Rechtsverordnungen des Reichs. 103
imperii. Daraus folgt, daß alle autonomischen Anordnungen in
den Formen erlassen werden müssen, welche das Landesstaatsrecht vor-
schreibt, insbesondere wenn es sich dabei um die Veränderung des
bestehenden Rechtszustandes handelt, im Wege der Landesgesetz-
gebung; und wenn es sich um Abänderungen des Verfassungsrechts
handelt, in den für Verfassungsänderungen vorgeschriebenen Formen.
Dagegen sind die vom Reich delegierten Verordnungen in den
vom Reich dafür vorgeschriebenen Formen zu erlassen; es hängt also
von dem Wortlaut der Delegation in dem einzelnen Reichsgesetz ab,
ob die Ausführungsbestimmungen im Wege der Landesgesetzgebung,
oder durch landesherrliche Verordnung (»im Verordnungswege«)'), oder
durch Verordnung der obersten Regierungsbehörden, Ministerien, Fi-
nanzbehörden u. dgl. zu erlassen sind?.. Nur wenn das Reichsgesetz
nichts darüber bestimmt, treten die Vorschriften des Landesstaats-
rechts ein.
Wenn in den Reichsgesetzen demnach auf die in den Einzelstaaten
geltenden oder von denselben zu erlassenden Bestimmungen Bezug
genommen wird, so ist es von großer Erheblichkeit, durch Interpre-
tation festzustellen, ob das Reichsgesetz hierbei auf die Autonomie
der Einzelstaaten verweist, also das von der Reichsgesetzgebung nor-
mierte Gebiet von dem von derselben nicht normierten Gebiete ab-
grenzt, oder ob es die Einzelstaaten ermächtigt, auf einem
reichsgesetzlich geregelten Gebiete die erforderlichen Ausführungsbe-
stimmungen zu erlassen’).
1) Der Verordnungsweg ist ausdrücklich vorgeschrieben im Genossen-
schaftsgesetz vom 4. Juli 1868, 8 72; in der Seemannsordnung 8 23, Abs. 3; im
Gesetz vom 6. Februar 1875, 8 79; eine königl. bayerische Verordnung
im Gesetz vom 9. Februar 1875, $3 und im Gesetz vom 13. Februar 1875, $ 18 (Reichs-
gesetzbl. S. 41, 58); einelandesherrliche Verordnung im $ 17, Abs. 2 des
Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz usw.
2) Die Behauptung v. Mohl’s S. 174, daß die Form, in der die den Einzelstaaten
übertragenen Ausführungsbestimmungen zu erlassen seien, nach dem Landes-
staatsrecht sich bestimme, ist demnach falsch. Richtig Seydel in Hirths An-
nalen 1874, S. 1144; Rosin S. 69; Fleiner, Institutionen S. 71, Note 4.
3) In einem und demselben Reichsgesetz kann beides vorkommen; so enthält
z. B. das Gesetz über die Bundesflagge vom 25. Oktober 1867, 83 und 17 eine Dele-
gation, in 8 19 eine Anerkennung der Autonomie; die Gewerbeordnung enthält in
& 21, 38 eine Delegation, in zahlreichen anderen Artikeln Vorbehalte der Autonomie;
das Gesetz über den Unterstützungswohnsitz enthält im $ 8 eine Delegation, im 8 52
einen Vorbehalt der Landesgesetzgebung; im Reichsmilitärgesetz 8 36 ist den Einzel-
staaten die Normierung der Kosten des Rekrutierungsverfahrens übertragen; daselbst
in $ 46 die Besteuerung der Militärpersonen ihrer Autonomie unterworfen; die Stran-
dungsordnung vom 17. Mai 1874 enthält in 8 2, 22, 24 eine Delegation, in $ 45 einen
Vorbehalt für die Autonomie; ebenso die Seemannsordnungin $ 4 eine Delegation, in $45
einen Vorbehaltfür dieAutonomie. Das Bürgerliche Gesetzbuch nebst dem dazu gehören-
den Einführungsgesetz enthält sehr zahlreiche Delegationen und sehr zahlreiche
Vorbehalte der Autonomie; das Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit 8 200
ermächtigt die Landesgesetzgebung „zur Ergänzung und Ausführung“ des Reichs-
gesetzes usw.