Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

S 59. Reichsgesetzgebung und Landesgesetzgebung. 113 
Die verbindliche Kraft der Rechtsverordnungen kann resolutiv be- 
dingt sein, indem das Verordnungsrecht gesetzlich mit der Beschrän- 
kung delegiert ist, daß die Verordnung dem Reichstage bei dessen 
nächstem Zusammentritt zur Genehmigung vorzulegen ist, und daß 
sie außer Kraft tritt, wenn der Reichstag die Genehmigung versagt, 
oder daß sie auf Verlangen des Reichstages außer Kraft zu setzen ist). 
8 59. Reichsgesetzgebung und Landesgesetzgebung. 
I. Da im Bundesstaate die Einzelstaaten der staatlichen Herrschaft 
des Bundes unterworfen sind, so ergibt sich, daß die Bundesgesetze 
nicht bloß die rechtlichen Schranken für die Handlungsfreiheit der 
Individuen, sondern auch für die der Gliedstaaten ziehen. 
So haben auch die Reichsgesetze zum großen Teil einen Inhalt, 
durch welchen sie den Einzelstaaten etwas erlauben, gebieten 
oder verbieten. Der in dem Reichsgesetz enthaltene Befehl ist in 
überaus zahlreichen Fällen ein Befehl an die Einzelstaaten über die 
Ausübung oder Nichtausübung von Hoheitsrechten, über die Entfal- 
tung oder Unterlassung einer staatlichen Tätigkeit. Es tritt uns hier 
der Gegensatz zwischen dem Bundesstaat und dem Staatenbund be- 
sonders scharf entgegen. Auch die von einem Staatenbund aufgestell- 
ten Rechtsregeln können für die beteiligten Staaten verbindlich sein; 
aber ihre Verbindlichkeit beruht nicht auf dem Befehl einer übergeord- 
neten Gewalt, sondern auf dem Konsense der Mitgliedsstaaten, und 
zwar auch dann, wenn sie durch die Majorität beschlossen werden. 
Ihre Verbindlichkeit ist die des Vertrages. Der einzelne Staat 
erfüllt eine vertragsmäßige Pflicht, indem er den Bundesbeschluß zur 
Ausführung bringt. Hierzu ist demnach ein Willensakt des Einzel- 
staates erforderlich, nämlich der Befehl des Einzelstaates an seine 
Behörden und Untertanen, den Bundesbeschluß zu befolgen; oder mit 
anderen Worten: es muß ein Gesetzgebungsakt des Einzelstaates hin- 
zukommen, durch welchen der Bundesbeschluß für den Einzelstaat 
in ein Gesetz umgewandelt wird. Formell kann dieser Akt in der 
bloßen Verkündigung des Bundesbeschlusses bestehen, deren juristi- 
sches Wesen — wie oben ausgeführt worden ist — nicht in der Be- 
kanntmachung des Gesetzesinhalts, sondern in dem öffent- 
lichen ErlaB des Gesetzesbefehls besteht. 
Im Bundesstaat dagegen erlangt das Bundesgesetz seine rechtliche 
Geltung und verbindliche Kraft ohne einen Willensakt des Einzel- 
staates. Der dem Reiche angehörende Gliedstaat wird von der Reichs- 
gewalt beherrscht und ergriffen, wie der einzelne Untertan. Die Ge- 
setzesbefehle des Reiches müssen von dem Einzelstaat und seinen 
Behörden befolgt und ausgeführt werden. Einer vertragsmäßigen Pflicht 
gegenüber besteht die Wahl der Willensentschließung, ob man sie 
1) S. Bd. 1, S. 302.
	        
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