Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

126 $ 60. Begriff und juristische Natur der Staatsverträge. 
Grunde müssen die Rechtssätze über die staatsrechtlichen Erforder- 
nisse und Wirkungen der Staatsverträge im Einklang stehen mit den 
Rechtsgrundsätzen über die Gesetzgebung, weil sonst die Regeln, welche 
über eine dieser beiden Formen staatlicher Willensakte bestehen, durch 
Anwendung der anderen Form illusorisch gemacht werden könnten. 
Diese Harmonie ist auch in der Tat in vollstem Maße vorhanden, und 
es ist zur theoretischen Erkenntnis derselben nur erforderlich, die ju- 
ristiischen Vorgänge und Willenserklärungen zu analysieren, welche 
sich bei dem Abschluß und der Durchführung von Staatsverträgen 
verwirklichen. 
Von einem Gesetz und einer Verordnung unterscheidet sich ein 
Staatsvertrag auf den ersten Blick dadurch, daß das Gesetz, sowie die 
Verordnung ein Befehl ist, den die Staatsgewalt an ihre Untertanen 
erläßt, daß der Staatsvertrag dagegen ein Versprechen ist, welches 
einem gleichberechtigten Kontrahenten erteilt wird. In dem Staats- 
vertrage verpflichtet sich der Staat — oder der Geschäftsführer des 
Staates Namens desselben — etwas zu geben, zu tun, zu unterlassen. 
Während nun der Staat die Befolgung seiner Befehle von seinen Unter- 
tanen durch die staatlichen Machtmittel erzwingt, kann es keinen 
staatlichen Zwang zur Erfüllung von Staatsverträgen geben, da 
der Staat nicht gegen sich selbst Zwang zu üben vermag; sondern es 
gibt lediglich einen völkerrechtlichen Zwang, welchen der eine Kontra- 
hent gegen den anderen zur Anwendung bringt, wenn er es für er- 
forderlich oder nützlich hält. Ein Staatsvertrag hatan und 
fürsich gar keineRechtswirkungen nach Innen (gegen 
Behörden und Untertanen),,sonderneinzigundalleinnach 
Außen. Staatsverträge sind Rechtsgeschäfte, durch welche nur die 
Kontrahenten gegen einander Ansprüche und Verpflichtungen begrün- 
den. Durch den Abschluß des Vertrages ist in keiner Weise eine 
rechtliche oder tatsächliche Gewißheit geboten, daß der Vertrag auch 
wirklich erfüllt wird; manche Staatsverträge bleiben unausgeführt, bis- 
weilen unter stillschweigender Zustimmung beider Kontrahenten, bis- 
weilen auch, weil ein Kontrahent auf die Ausführung nicht dringen 
kann oder will. Die Entscheidung, ob ein Staatsvertrag erfüllt oder 
ob die völkerrechtlichen Folgen der Nichterfüllung getragen werden 
sollen, steht in jedem Falle nur dem Staate als solchem, der Regie- 
rung, nicht den einzelnen Untertanen oder Behörden zu. Der völker- 
rechtliche Vertrag als solcher verpflichtet die letzteren niemals und 
unter keinen Umständen, und die einzelnen Behörden und Untertanen 
sind in keinem Falle weder befugt noch imstande, den Vertrag zu er- 
füllen. Nur der Staat als solcher, der das alleinige Subjekt der aus 
dem Staatsvertrage hervorgehenden Pflichten ist, vermag dieselben zu 
erfüllen. Diese Erfüllung aber geschieht in der Mehrzahl der Fälle 
durch einen Befehl an die Untertanen, resp. Behörden. Wenn 
z. B. ein Schutz- und Trutzbündnis mit einer anderen Macht abge-
	        
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