130 8 60. Begriff und juristische Natur der Staatsverträge.
nationale Vertragsabschluß, sondern der staatliche Befehl den in dem
Vertrage enthaltenen Sätzen innerhalb des Staats Rechtsgültigkeit und
Gesetzeskraft erteilt, den deutlichen und zutreffenden Ausdruck.
In einigen Staaten hat sich jedoch ein mangelhaftes und inkor-
rektes Verfahren entwickelt, indem man die ausdrückliche Anordnung,
den Vertrag zu befolgen, unterläßt. Dieser Befehl wird stillschwei-
gend erteilt, indem er sich in konkludenter und zweifelloser Weise
aus der Tatsache der offiziellen Verkündigung ergibt. Denn daß die
Regierung einen von ihr abgeschlossenen Vertrag auch erfüllen und
ausführen will, ist im allgemeinen zu vermuten und wird im kon-
kreten Fall zweifellos, da die Regierung den Behörden doch offenbar
den Vertrag in der Absicht und zu dem Zwecke mitteilt, daß sie sich
nach dem Inhalte desselben richten sollen. Die stereotype Klausel,
durch welche dies den Behörden ausdrücklich anbefohlen wird, scheint
deshalb entbehrlich zu sein. Diese Form war seit langer Zeit in
Preußen üblich. Vor Einführung der konstitutionellen Verfassungs-
form machte es auch keinen Unterschied, ob der Vertrag lediglich die
Verwaltungstätigkeit oder auch die Rechtsordnung berührte; für beide
Arten von staatlichen Anordnungen war der Befehl des Königs ge-
nügend und nur darin bestand ein Unterschied, daß die wichtigeren
oder die das Publikum direkt berührenden Staatsverträge, z. B. Han-
dels- und Schiffahrtsverträge, in der Gesetzsammlung verkündet, andere
nur in den Amtsblättern oder Ministerialblättern abgedruckt oder den
betreffenden Behörden durch Zirkularverfügung mitgeteilt wurden.
Diese in Preußen übliche Form, welche den Befehl, den Vertrag
zu befolgen, als selbstverständlich unterdrückt, hat nun die nachteilige
Folge, daß dieser Befehl überhaupt übersehen werden kann. Denn
da er stillschweigend erteilt wird, so ist er nicht sinnlich wahrnehm-
bar, sondern nur durch den Intellekt zu begreifen. Es entsteht dann
leicht die, durch den Anblick des nackten ohne Verkündigungsformel
abgedruckten Vertrages erzeugte Vorstellung, als ob Behörden und
Untertanen durch den Abschluß des Vertrages zur Befolgung des-
selben verpflichtet wären und als wenn die Verkündigung des Ver-
trages keine andere Bedeutung hätte, als ihn zur öffentlichen Kennt-
nis zu bringen. Der Staat selbst verschuldet die irrige Theorie, als
könnten durch den Abschluß eines Staatsvertrages Verwaltungsvor-
schriften oder gar Rechtssätze erzeugt werden. Man übersieht das not-
wendige Mittelglied und verkennt die juristische Bedeutung der Ver-
kündigung. Der Abschluß des Vertrages konstatiert nur den Willen
des Staates, sich zu verpfichten; die Verkündigung des Vertrages
konstatiert den Willen des Staates, die Verpflichtung zu erfüllen,
indem die Beobachtung des Vertrages anbefohlen wird. Die Verkün-
digung ist auch bei Staatsverträgen etwas wesentlich anderes als die
Veröffentlichung; der bloße Abdruck eines Staatsvertrages in Zeitungen,
Zeitschriften usw. ist ohne alle und jede rechtliche Bedeutung. Der recht-