Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

8 61. Der Abschluß von Staatsverträgen. 137 
Bestimmung überhaupt auf die Legitimation zum Abschluß von Ver- 
trägen und auf die völkerrechtliche Verbindlichkeit der letzteren 
bezieht, so ist doch der Satz zweifellos und unbestreitbar, daß die im 
ersten Absatz erteilte Stellvertretungsbefugnis durch Abs. 3 nicht allge- 
mein, d. h. für alle Staatsverträge des Reiches aufgehoben oder an 
Bedingungen geknüpft wird, sondern nur für eine gewisse Sorte von 
Staatsverträgen. Man würde daher zunächst folgendes Resultat ge- 
winnen: Es gibt zwei Klassen von Staatsverträgen; die einen kann 
der Kaiser mit völkerrechtlicher Gültigkeit Namens des Reiches ab- 
schließen; dagegen ist er nicht befugt, die anderen abzuschließen, wo- 
fern er nicht die Zustimmung des Bundesrates und die Genehmigung 
des Reichstages hat. Die erste Klasse würde die Regel, die zweite 
Klasse die Ausnahme bilden. Es erhebt sich nun die Frage, welche 
Verträge gehören zu dieser zweiten Klasse; welchen Umfang hat die 
Rechtsregel, durch welche die Legitimation des Kaisers zur völker- 
rechtlichen Vertretung des Reiches an die Zustimmung des Bundes- 
rates und Reichstages geknüpft wird ? 
2. Diese Frage beantwortet Abs. 3 des Art. 11 durch die Worte: 
»insoweit die Verträge mit fremden Staaten sich auf solche Gegen- 
stände beziehen, welche nach Art. 4 in den Bereich der 
Reichsgesetzgebung gehören«. Art. 4 der Reichsverfassung 
zählt die Angelegenheiten auf, welche der Beaufsichtigung und Gesetz- 
gebung des Reiches unterliegen; er grenzt die Kompetenz des 
Reiches gegen die Kompetenz der Einzelstaaten ab); den Gegensatz 
zu den Gegenständen, welche nach Art. 4 in den Bereich der Reichs- 
gesetzgebung gehören, bilden die Gegenstände, welche in den Bereich 
der Landesgesetzgebung gehören. Eine wörtliche Auslegung des 
Abs. 3 gibt also das unsinnige und deshalb unmögliche Resultat, daß 
wenn ein Staatsvertrag Gegenstände betrifft, welche verfassungsmäßig 
zur Kompetenz des Reiches gehören, der Kaiser nicht befugt ist, diesen 
Vertrag abzuschließen, ohne die Zustimmung des Bundesrates und die 
Genehmigung des Reichstages einzuholen; hinsichtlich der Gegenstände 
dagegen, welche nicht zur Kompetenz des Reiches gehören, 
würde die allgemeine, im Abs. 1 enthaltene Regel eintreten, daß der 
Kaiser ohne Zustimmung des Bundesrates und Reichstages Staatsver- 
träge Namens des Reiches darüber abzuschließen befugt wäre. Daß 
dies der Sinn des Art. 11 nicht sein kann, bedarf keiner Ausführung. 
Der Kaiser kann über Angelegenheiten, die der Kompetenz des Reiches 
überhaupt nicht unterstellt sind, auch nicht durch internationale Ver- 
träge verfügen ?).. Die Vorschriften, welche für Verfassungsänderungen 
1) Vgl. oben $ 56, II, S. 64 fg. 
2) v. Mohl, Reichsstaatsrecht S. 303 ff. erklärt sich für diese, die gesetzlichen 
Kompetenzgrenzen zwischen Reich und Einzelstaat aufhebende Auslegung, wofern 
nur Zweck und Inhalt des Staatsvertrages sich innerhalb der Aufgaben halten, welche 
in der Einleitung zur Reichsverfassung angegeben sind. Ihm folgt Gorius in Hirths 
Annalen 1874, S. 771.
	        
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