Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

8 61. Der Abschluß von Staatsverträgen. 147 
völkerrechtlich gültigen Abschluß eines Staatsvertrages von der Ge- 
nehmigung des Landtages nicht abhängig macht'). Es ist also anzu- 
nehmen, daß auch der Abgeordnete Lette mit seinem Amendement 
nichts anderes meinte, als diesen Rechtssatz. Auch wurde es für genü- 
gend erklärt, daß die Staatsverträge nachträglich dem Reichstage 
vorgelegt werden sollten, und man glaubte einer anderen Auslegung 
dadurch vorbeugen zu können, daß man in Bezug auf den Reichstag 
eine andere Fassung wählte als in Bezug auf den Bundesrat. Diese 
Erklärung gab der Abgeordnete Lette in seinem Namen und im Namen 
seiner politischen Freunde ab, sie wurde vom Bundeskommissar aus- 
drücklich akzeptiert und es wurde ihr im Reichstage von keiner Seite 
ein Widerspruch entgegengesetzt. Es fehlt daher der Behauptung, daß 
der Reichstag und die verbündeten Regierungen trotzdem die entgegen- 
gesetzte Ansicht durch die Annahme des Amendements Lette haben 
sanktionieren wollen, an jeder Begründung ’). 
Wenn die Genehmigung des Reichstages eine Vorbedingung für 
den völkerrechtlich gültigen Abschluß eines Staatsvertrages wäre, wenn 
er ohne diese Genehmigung keine internationale Verpflichtung erzeugen 
könnte und null und nichtig bliebe, so könnte die Vorlegung des Ver- 
trages an den Reichstag nicht als »nachträglich« bezeichnet werden. 
Diese Ausdrucksweise ist vielmehr nur mit der Auffassung vereinbar, 
daß die Regierung den Vertrag bereits mit völkerrechtlicher Kraft und 
Wirksamkeit abgeschlossen habe und hierauf zur Vollziehung desselben 
im Inlande die Genehmigung des Reichstages einholt ’°). 
1) Die entgegengesetzte Ansicht wurde erst in dem Werke von Ernst Meier 
1874 aufgestellt. 
2) Meier nennt die Erklärung des Bundeskommissars „höchst auffallend“, 
die Aeußerung des Abgeordneten Erxleben „noch auffallender“, die Interpretation, 
welche der Abgeordnete Lette seinem eigenen Amendement gab, „am allerauffallend- 
sten“ (a. a. O. S. 278, 279). In der Tat auffallend ist aber, daß Meier durch diese 
authentischen Erklärungen über den Sinn des Art. 11 nicht zu der Ueberzeugung ge- 
langt ist, daß seine eigene Auslegung desselben unrichtig ist. 
3) Ganz unklar und widerspruchsvoll sind die Ausführungen von Gorius,in- 
dem derselbe bald die Genehmigung des Reichstages für eine Suspensivbedingung 
erklärt, durch deren Eintritt der Staatsvertrag Gültigkeit erhält (Hirths Annalen 1874, 
S. 772), bald die Nichtgenehmigung für eine Resolutivbedingung, durch deren Eintritt 
der gültig geschlossene Vertrag invalidiert wird (Hirths Annalen 1875, S. 537 ff.) Auch 
Pröbst S. 31lig. und die daselbst zitierten Schriftsteller, denen jetzt noch Jelli- 
nek, Gesetz und Verordnung, S. 355 fg., Seligmann u.a. sich zugesellen, erblicken 
in der Genehmigung des Reichstages eine resolutive Bedingung der Gültigkeit 
solcher. Verträge. Unzweifelhaft kann bei dem Abschluß eines Vertrages eine solche 
Bedingung gemacht werden: wenn aber das zur Vertretung des Reiches berufene Or- 
gan, der Kaiser, den Vertrag pure ratifiziert hat, ohne einen Vorbehalt wegen 
der Genehmigung des Reichstages zu machen, so ist der völkerrechtliche Vertrag 
eben unbedingt abgeschlossen worden, und die Annahme einer solchen „still- 
schweigend“ hinzugefügten Bedingung wäre eine Fiktion. Ist aber die Ratifikation 
noch nicht erfolgt, so ist der völkerrechtliche Vertrag noch nicht „abgeschlossen“ und 
eine Resolutivbedingung daher gegenstandslos. Eine juris conditio ist gar keine
	        
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