148 8 61. Der Abschluß von Staatsverträgen.
Bestätigt wird dies meines Erachtens durch die Vorgänge beim
Abschluß des Handelsvertrages mit Oesterreich-Ungarn vom 16. Dezem-
ber 1878. Daß derselbe zu den vom Art. 11, Abs. 3 der Reichsver-
fassung betroffenen Verträgen gehört, ist zweifellos. Derselbe wurde
vom Kaiser ratifiziert, bevor es möglich war, die Genehmigung
des Reichstages einzuholen. Was hätte aber eine solche »Ratifikation«
für eine rechtliche Bedeutung, wenn auch die völkerrechtliche
Gültigkeit des Vertrages von der Genehmigung des Reichstages ab-
hängig wäre? Aus den Erklärungen des Staatsministers von Bülow
in der Sitzung des Reichstages vom 20. Februar 1879 (Stenogr. Bericht
S. 40) ergibt sich aber, daß die Reichsregierung aus dringender Ver-
anlassung den Vertrag zum definitiven Abschluß bringen wollte, und
daß sie bei dem Austausch der Ratifikationen der österreichischen
Regierung die Zusage erteilte, »dasjenige nachzuholen, was fehlt, um
dem Vertrage seine volle und verfassungsmäßige Sicherstellung
zu geben«. Der Minister ersucht den Reichstag um sofortige Genehmi-
gung, »daß wir der österreichischen Regierung gegenüber . . . die Ver-
pflichtungen vollständig erfüllen können, welche wir glaubten zum
Besten des Reiches übernehmen zu sollen«. Ein ähnlicher Vor-
gang ereignete sich beim Abschluß des Handelsvertrages mit Spanien
vom 12. Juli 1883. Durch eine »auf Grund Allerhöchster Ermächti-
gung und nach eingeholter Zustimmung der verbündeten Regierungen«
abgeschlossene Uebereinkunft wurde festgesetzt, daß gewisse Zollermäßi-
gungen in Deutschland schon vor erfolgter Genehmigung des Ver-
trages seitens des Reichstages in Anwendung kommen sollten. Diese
Uebereinkunft wurde zur Ausführung gebracht. Dem Reichskanzler
wurde durch das Reichsgesetz vom 10. September 1883 (Reichsgesetzbl.
Ss. 303) hierfür »Indemnität erteilt« ').
6. Ueber die Frage, ob die Zustimmung des Bundesrates zum
Abschluß von Staatsverträgen von den verbündeten Regierungen in
dem Sinne für erforderlich erklärt worden ist, daß dadurch die völker-
rechtliche Legitimation des Bundespräsidiums beschränkt werden sollte,
oder nur in dem Sinne, daß dem Bundespräsidium die staatsrechtliche
Pflicht auferlegt wurde, die Zustimmung des Bundesrates vor dem
Vertragsabschluß einzuholen, geben die Protokolle über die Beratungen
der Bevollmächtigten keine Auskunft ?. Ebensowenig ist aus dem
wirkliche Bedingung, sondern nur die Hervorhebung eines einzelnen begrifflichen
Moments in hypothetischer Redeweise. Vgl. auch oben S. 142, Note 2 a. E.
1) Ebenso wurde die am 30. Dezember 1893 abgeschlossene Vereinbarung mit
Spanien, welche am 1. Januar 1894 provisorisch in Kraft gesetzt wurde, nachträg-
lich vom Bundesrat und Reichstag genehmigt und dem Reichskanzler „für die pro-
visorische Inkraftsetzung“ (nicht für den Abschluß der Vereinbarung) „In-
demnität gewährt“. Bekanntm. vom 19. Januar 1894 (Reichsgesetzbl. S. 109).
2) Vgl. über dieselben Bd. 1, S. 20 ff. Dagegen werden die oben S. 146 fg. mit-
geteilten Verhandlungen des Reichstages von Pröbst S. 803 fg. zur Begründung
seiner Ansicht verwertet.