Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

$ 61. Der Abschluß von Staatsverträgen. 149 
Wortlaut des Art. 11 ein entscheidendes Moment zu entnehmen; denn 
die Worte: »zu ihrem Abschluß ist die Zustimmung des Bundesrates 
erforderlich«, lassen es völlig unentschieden, ob dieses »Erfordernis« 
die internationale Stellvertretungsbefugnis des Kaisers oder die ver- 
fassungsmäßige Zuständigkeit desselben im Verhältnis zum Bundesrat 
betrifft '). 
Wohl aber findet die letztere Ansicht ihre Bestätigung in dem vom 
Norddeutschen Bunde und Deutschen Reiche beobachteten Verfahren 
bei der Ratifikation der Staatsverträge. Würde zum gültigen Abschluß 
des internationalen Rechtsgeschäftes die Zustimmung des Bundesrates 
erforderlich sein, wie z. B. in der Nordamerikanischen Union die Zu- 
stimmung des Senates erforderlich ist, so müßte in der Ratifika- 
tionsurkunde diese Zustimmung beglaubigt oder erwähnt sein, 
da sie nicht nur innerhalb des Reiches (staatsrechtlich), sondern 
auch dem fremden Staate gegenüber (völkerrechtlich) von Erheblich- 
keit wäre. Gerade in der ersten Zeit des Norddeutschen Bundes aber 
ist in einem Staatsvertrage, der die Genehmigung des Bundesrates und 
Reichstages erhalten hat und in dem Bundesgesetzblatt veröffentlicht 
worden ist, die entgegengesetzte Regel sanktioniert und der Gegensatz 
zwischen dem Rechte des Norddeutschen Bundes und dem Rechte 
der Vereinigten Staaten von Nordamerika veranschaulicht worden. 
Der Vertrag mit Amerika über die Staatsangehörigkeit vom 
22. Februar 1868 bestimmt im Art. 6°): 
»Der gegenwärtige Vertrag soll ratifiziert werden von Seiner 
Majestät dem Könige von Preußen im Namen des Norddeutschen 
Bundes und von dem Präsidenten unter und mit Ge- 
nehmigung des Senates der Vereinigten Staaten« °)?). 
1) Die gewöhnlich aufgestellte Behauptung, daß dieser Wortlaut die völker- 
rechtliche Gültigkeit des Vertrages von der Zustimmung abhängig mache, vgl. Sey- 
del, Kommentar S. 164; Pröbst S. 296; PresteleS. 55. v.Sarweyll S. 9 
wird weder durch die grammatische Interpretation noch durch den Sprachgebrauch 
der Reichsgesetze unterstützt. So heißt es z. B. im (alten) Handelsgesetzbuch Art. 104: 
„Zur Bestellung eines Prokuristen ist.... die Einwilligung aller Gesell- 
schafter erforderlich“, und gleichwohl bestimmt Art. 118, daß die Erteilung der 
Prokura mit rechtlicher Wirkung gegen Dritte durch einen der zur Vertretung be- 
fugten Gesellschafter geschieht. „Die Zustimmung des Bundesrates ist erforderlich“ 
kann ebensowohlheißen „der Kaiserkann nicht“ alsauch „derKaisersollnicht‘ 
ohne diese Zustimmung den Vertrag abschließen. Vgl.auchMeyer8$19% und Störk 
a.a.0. S. 522. Immerhin muß man einräumen, daß die Unterscheidung zwischen 
Bundesrat und Reichstag und die — durch stilistische Rücksichten nicht gebotene — 
Verschiedenheit des Ausdrucks als ein Argument dafür verwendet werden kann, daß 
die Funktionen des Bundesrats und Reichstages verschiedene seien. Nur ist damit 
die Frage nicht entschieden, ob diese Verschiedenheit den völkerrechtlichen Ab- 
schluß oder die staatsrechtliche Vollziehung des Staatsvertrages betrifft. Vgl. un- 
ten 8 82. 
2) Bundesgesetzbl. 1868, S. 230. 
3) Heilborn, System, S. 148, bemerkt, daß nicht vereinbart worden sei, daß 
der Ratifikationsbeschluß des Senats dem König von Preußen überreicht werden
	        
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