Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

152 8 61. Der Abschluß von Staatsverträgen. 
Oesterreich und der Schweiz ist der Kaiser verpflichtet, die 
angrenzenden Bundesstaaten zur Teilnahme an den dem Abschlusse 
vorangehenden Verhandlungen einzuladen, ohne daß diesen Staaten 
aber ein Veto gegen den Abschluß des Vertrages zusteht, falls eine Ueber- 
einstimmung unter den deutschen Regierungen nicht zu erzielen ist'). 
2. Bei dem Abschlusse (d. h. den dem Abschluß vorhergehenden 
Verhandlungen) von Post- und Telegraphenverträgen mit 
außerdeutschen Staaten sollen Vertreter der an die betreffenden Staaten 
angrenzenden Bundesstaaten zur Wahrung der besonderen Landes- 
interessen zugezogen werden ?.. Da nur Bayern und Württemberg 
eigene Postverwaltungen haben, so können nur diese beiden Staaten 
in die Lage kommen, »besondere Landesinteressen zu wahren. 
Tatsächlich besteht die Uebung, die Genehmigung des Bun- 
desrates schon zur Eröffnung der Verhandlungen über 
alle diejenigen Gegenstände einzuholen, deren Regelung zur Kompetenz 
des Bundesrates nach Art. 7 der Reichsverfassung gehört. 
III. Die Perfektion des Staatsvertrages. 
Die Reichsverfassung enthält keine Vorschriften, in welcher Form der 
Kaiser völkerrechtliche Verträge Namens des Reiches abschließen solle; 
es gellen darüber vielmehr die allgemeinen, auf der völkerrechtlichen 
Uebung beruhenden Sätze des Völkerrechts. Die theoretische Möglich- 
keit, daß Staatsverträge mündlich oder stillschweigend geschlossen 
werden, kann außer Betracht bleiben, da praktisch der schriftliche 
Abschluß allein von Bedeutung ist. Die Vertragsurkunde hat nicht 
nur den Zweck, ein authentisches Beweismittel über den Inhalt der 
Vereinbarungen zu bieten, sondern ihre Bedeutung besteht vorzüglich 
darin, das Zustandekommen einer bindenden Uebereinkunft zu kon- 
statieren, das Stadium der Vorverhandlungen, der Propositionen und 
Gegenpropositionen äußerlich abzuschließen und zu bekunden, daß die 
kontrahierenden Staaten sich definitiv gegeneinander verpflichtet haben. 
Der Staatsvertrag wird demnach perfekt in dem Moment der 
Unterzeichnung der Vertragsurkunde durch beide 
Kontrahenten?) — oder, falls jeder der beiden Kontrahenten eine 
von ihm allein unterzeichnete Urkunde dem anderen Kontrahenten 
1) Schlußprotokoll zum Art. 8, 8 6 des Zollvereinsvertrages vom 8. Juli 1867. 
Bundesgesetzbl. 1867, S. 108. — Reichsverfassung Art. 40. Vgl Delbrück, Der 
Art. 40 der Reichsverfassung, Berlin 1881, S. 49 fg. 
2) Schlußprotokoll zu dem Vertrage mit Bayern vom 23. November 1870 (Reichs- 
gesetzbl. 1871, S. 23), Art. 11. Die Behauptung von PresteleS. 33fg., daß diese 
Bestimmung durch die gesetzliche Redaktion der Reichsverfassung (Art. 52, Abs. 3) 
ihre Erledigung gefunden habe und fortgefallen sei, kann nicht als begründet aner- 
kannt werden. 
3) Unter den „Kontrahenten“ sind, wie sich aus dem Zusammenhang deutlich 
ergibt, nicht die vernandelnden Geschäftsträger, sondern die Oberhäupter der 
Staaten zu verstehen.
	        
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