$ 61. Der Abschluß von Staatsverträgen. 153
übergibt, mit der Zustellung (Auswechslung) der unter-
zeichneten Urkunde. Da nun der allgemeinen im Art. 11,
Abs. 1 der Reichsverfassung anerkannten Regel gemäß der Kaiser
zum Abschluß von Staatsverträgen Namens des Reiches legitimiert ist,
so wird der Staatsvertrag perfekt in dem Momente, in welchem die
von dem Deutschen Kaiser unterzeichnete Vertragsurkunde dem Sou-
verän des anderen Staates resp. dessen Bevollmächtigten (Minister,
Gesandten usw.) gegen Empfangnahme der von ihm unterzeichneten
Ausfertigung der Vertragsurkunde übergeben wird. Diese Regel gilt
indes nicht unbedingt. Denn der Souverän kann seine Beamten nicht
nur beauftragen, die Verhandlungen zu führen und einen Vertrags-
entwurf zu vereinbaren, sondern er kann sie auch bevollmächtigen,
den Vertrag selbst definitiv abzuschließen und die Urkunden darüber
zu unterzeichnen. Diese, nur in minder wichtigen Fällen übliche und
staatsrechtlich zulässige ') Art der Vertragsschließung kann man im
Gegensatz zu der regelmäßigen als die nicht solenne Vertragsform be-
zeichnen.
1. Die nicht solenne Vertragsform. Dieselbe besteht
entweder in der Unterzeichnung einer gemeinschaftlichen Ur-
kunde, eines sogenannten Protokolls, durch die Minister, Gesandten
oder anderen Bevollmächtigten der kontrahierenden Staaten, mit der
1) Einen vereinzelten und unbegründeten Widerspruch hiergegen hat Zorn,
Staatsrecht I, S. 508 erhoben. Jellinek, Staatsverträge S. 54, der die Befugnis zur
Vertragsschließung für ein unveräußerliches Souveränitätsrecht erklärt, hilft sich mit
der Annahme einer „stillschweigenden“ Ratifikation, d. i. einer Fiktion. Allerdings
kann in monarchischen Staaten unter keinen Umständen ein anderer als der Souverän
ein eigenes und selbständiges Recht haben, namens des Staates einen Vertrag zu
schließen, wohl aber kann ein Souverän sein Recht mittelst eines Bevollmächtigten
als seines Willenswerkzeugs ausüben. Vgl. auch Prestele S.6; Seligmann
S. 26 ff. und jetzt Jellinek selbst, Gesetz und Verordnung S. 360. Selbst dann,
wenn der Staatsvertrag durch die Oberhäupter der kontrahierenden Staaten in solen-
ner Weise ratifiziert werden soll, kann ausnahmsweise vereinbart werden, daß er
schon vorher in Kraft trete. Auch die Praxis des Deutschen Reiches bietet hier-
für Beispiele, die Zorn nicht zu kennen scheint. So bestimmt der Samoaver-
trag vom 24. Januar 1879, Art. 12 (Reichsgesetzbl. 1881, S. 33): „Der gegenwärtige
Vertrag wird vom Tage der Unterzeichnung ab in Kraft treten und Gültigkeit haben,
vorbehaltlich dessen, daß derselbe wieder ungültig wird, falls die Ratifikation des-
selben seitens der deutschen Regierung innerhalb der Frist von 24 Monaten, vom Tage
der Unterzeichnung ab, nicht erfolgen sollte.“ Ferner bestimmt der Vertrag von
Madrid über die Schutzherrschaft in Marokko vom 3. Juli 1880, Art. 18 (Reichs-
gesetzbl. 1881, S. 114): „Die gegenwärtige Konvention soll ratifiziert werden. Die
Ratifikationsurkunden sollen in möglichst kurzer Frist in Tanger ausgewechselt wer-
den. Durch ausnahmsweise Uebereinkunft der hohen vertragschließenden Teile sollen
die Bestimmungen der gegenwärtigen Konvention von dem Tage der Unterzeichnung
in Madrid an in Kraft treten.“ Sodann die Uebereinkunftvom August 1883
wegen vorläufiger Anwendung der im Handelsvertrag mit Spanien vereinbarten
Zollermäßigungen „unter Vorbehalt der späteren Ratifikation des Handels- und
Schiffahrtsvertrages“ (Reichsgesetzbl. 1883, S. 304).